Kronprinz Rudolf in der Heimat

Robert Tewsley tanzt in der Erstaufführung von „Mayerling“ an der Wiener Staatsoper

Wien, 30/10/2008

Dreißig Jahre nach der Londoner Uraufführung und anlässlich des hundertfünfzigsten Geburtstages von Kronprinz Rudolf von Habsburg wurde Kenneth MacMillans Ballett „Mayerling“ erstmals in der Stadt aufgeführt, in der sich der Großteil der Handlung abspielt. Das Wiener Publikum bereitete dem Stück über die letzten Jahre des Lebens von Kronprinz Rudolf, der sich im Jahr 1889 einunddreißigjährig zusammen mit seiner siebzehnjährigen Geliebten Mary Vetsera im Jagdschloss Mayerling erschoss, einen triumphalen Empfang.

Das Stück beginnt und endet auf einem Friedhof, auf dem Mary Vetsera heimlich beerdigt wurde, um den Skandal des Doppelselbstmordes zu vertuschen. Dazwischen werden die acht Jahre erzählt, die Rudolfs Tod vorausgehen, beginnend mit der Hochzeit des Prinzen mit Prinzessin Stephanie von Belgien im Jahr 1881. MacMillans Ballett erfordert eine hochkarätige Besetzung, um trotz des inzwischen etwas verstaubten Dekors (Bühnenbild und Kostüme: Nicholas Georgiadis) und einiger Längen vor allem in den Ensembleszenen die komplizierte Handlung mit den vielen optisch schwer zu unterscheidenden Charakteren verständlich darzustellen. Das Stück steht und fällt mit der Besetzung des Rudolf, tänzerisch und schauspielerisch wohl die anspruchsvollste männliche Rolle im gesamten Ballettrepertoire. MacMillans Kronprinz tanzt mit sechs verschiedenen Partnerinnen hochkarätige Pas de Deux von sehr unterschiedlicher emotionaler Färbung und voller tückischer Hebungen, ringt in komplexen Variationen mit Krankheit, Drogenabhängigkeit, Wahnsinn und höfischer Etikette – ein Part, der jeden männlichen Solisten aufs Höchste fordert und leicht zum Albtraum werden kann.

Gastetoile Robert Tewsley zeigte sich der Herausforderung, den Habsburgerprinzen erstmals nur wenige Meter von dessen Residenz in der Hofburg auf der Bühne der Wiener Staatsoper zu verkörpern, mehr als gewachsen. Der ehemalige erste Solist des Royal Ballet, der bereits vor sechs Jahren sein Rollendebüt als Rudolf gab, durchtanzte den dreistündigen tänzerischen Marathon, der den Interpreten des Rudolf an den Rand des physischen Zusammenbruchs bringt, mit einer Hochspannung, die in keinem Moment abflaute. Seine Erschöpfung in der Schlussszene im Schloss Mayerling nützt er, um Rudolfs psychischen und – krankheits- und suchtbedingt – physischen Zerfall mit größter Direktheit darzustellen. Tewsleys schauspielerische Bandbreite reicht von echtem und gespieltem Wahnsinn über brutale Rücksichtslosigkeit, Frivolität und Zynismus bis zu Hilflosigkeit und Schwäche. Im bewegenden Pas de Deux mit seiner Mutter Elisabeth („Sisi“), in der er deren Verständnis, Liebe und Aufmerksamkeit sucht, gelingt es Tewsley – laut David Wall, dem Uraufführungs-Rudolf, eine der schwierigsten Aufgaben in diesem Stück –, Mitgefühl zu erregen für einen Mann, dessen Handlungen alles andere hervorrufen als Sympathie. Er zeigt in den Konfrontationen mit seiner Mutter und seinem strengen, steifen Vater seine Verwundbarkeit, die den Schlüssel zu seinem Verhalten gegenüber den anderen Personen des Stückes liefert.

Tewsleys Rudolf, der sich fast ständig auf der Bühne befindet, ist selbst in den Momenten, in denen er immobil auf der Bühne verharrt – wie beispielsweise bei der Geburtstagsfeier des Kaisers – stets eloquent durch Haltung und Blick. Die Rollen der Frauen, die Rudolfs Leben prägen, sind größtenteils überzeugend interpretiert (Mihail Sosnovschis Bratfisch fehlt es dagegen leider an der notwendigen Virtuosität, um seiner Rolle Bravour zu verleihen). Allen voran tanzt Ketevan Papavas facettenreiche Madame Larisch, die Rudolf, als sie erkennt, dass seine Liebe zu ihr erloschen ist, die junge Mary Vetsera vorstellt, ohne danach weniger an ihrer Liebe und an Rudolfs Verfall zu leiden. Marija Kicevskas Stephanie spielt zwar stellenweise mit übertrieben verschreckter Prüderie, doch wirft sie sich mit haltloser Verzweiflung in den Pas de Deux der Hochzeitsnacht, während der Rudolf sie mit einem Totenschädel und vorgehaltener Pistole heimsucht. Karina Sarkissova gibt eine kühle, leichtfüßige Kurtisane Mizzi Caspar, die keinerlei emotionale Nähe zu Rudolf verrät – man wünschte sich in der überlangen Wirtshausszene nur, dass ihr Pas de Cinq mit den ungarischen Offizieren, die Rudolf ständig mit zermürbender Aufdringlichkeit heimsuchen, glänzender ausfiele. Brenda Salehs Königin Elisabeth ist so eisig, wie es die Rolle verlangt. Irina Tsymbal fehlte es als Mary Vetsera noch etwas an Sinnlichkeit und Fatalismus, doch schien sie besonders im letzten Pas de Deux beinahe mit Rudolf zu verschmelzen, wodurch ihr Entschluss, mit ihm zu sterben, schließlich glaubhaft wurde. Der Rest des Ensembles sowie das Orchester unter Leitung von András Déri (Musik: Franz Liszt, musikalische Einrichtung: John Lanchbery) schien ebenso mit Hingabe am Werk – schließlich ging es darum, ein mythenumranktes Stück österreichischer Geschichte in einer choreografisch originellen und gewagten Umsetzung lebendig auf die Bühne zu bringen. Und das ist dem Ballett der Wiener Staatsoper an diesem Abend überzeugend gelungen.

www.wiener-staatsoper.at

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