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Was nicht in den deutschen Tageszeitungen steht ...

oe
Stuttgart, 08/02/2008

... und oft auch nicht einmal in den Fachzeitschriften. Zum Beispiel die enormen Erfolge, die Jason Reilly in Kanada einheimst. Wie bei der Abschiedsvorstellung der ja auch in Deutschland nicht ganz unbekannten, besonders in München populären, in ihrer kanadischen Heimat wie eine Legende verehrten Evelyn Hart. In London, Ontario, tanzten sie in Roberto Campanellas „Decorum E“ und „Moonlight Sonata“ (jüngst auch in Augsburg in Robert Conns Debütprogramm). In seinem Bericht in der amerikanischen „Ballet Review“ (deren Herbst-Nummer uns erst nach Weihnachten erreichte – sie sind dort immer für unsere Verhältnisse reichlich spät dran) beschreibt Gary Smith „the divine Ms. Hart ... with an emphasis in dreamlike floating through space, gently suspended in Reilly‘s masculine arms“. Und dann folgt eine geradezu atemberaubende Feststellung: „This is a partnership tried several years ago when Hart and Reilly danced ‚Romeo and Juliet‘ for the Royal Winnipeg Ballet. That fledgeling partnership never had a chance to mature. Too bad: this was a match that suggested the same serious chemistry that made Fonteyn and Nureyev unique.“

Hört, hört! Ob Reilly wohl je seine Fonteyn beim Stuttgarter Ballett finden wird? Aus Toronto berichtet der gleiche Mr. Smith über einen neuen Peter Quanz beim National Ballet of Canada als „A dancemaker in the mould of Balanchine, Quanz has a refined eye for the way speed and energy can make familiar classical steps fresh and inventive. His short piece ‚Cascades‘, to Elgar‘s Introduction and Allegro may well pay homage in part to ‚Serenade‘, but it also stands resolutely on its own ... Quanz fills space with classical images burned brightly on the imagination.“ Ist mir ein Rätsel, warum sich die Chefs unserer großen Opernballettkompanien nicht geradezu auf Quanz stürzen, zumal nach dessen glänzendem Erfolg beim Mariinsky-Ballett.

Ein bisschen viel Kanada diesmal im Herbst-Heft der „Ballet Review“ – aber hat bei uns eigentlich schon mal jemand darauf aufmerksam gemacht, wie sehr Deutschland inzwischen zu einem Ballettland kanadischer Immigranten geworden ist? Man denke nur an Reid Anderson (nebst Reilly und Eric Gauthier) in Stuttgart, an Paul Chalmer in Leipzig, an Aaron Watkin und Jason Beechey in Dresden, an Peter Dingle in Hamburg und an den Halbkanadier Robert Conn in Augsburg (und sicher gibt es noch ein paar mehr, die mir gerade nicht einfallen) ... Und so kommentiert Smith weiterhin eine Wiederaufnahme von Crankos „Romeo und Juliet“ beim kanadischen Nationalballett, geht dabei ziemlich in die Details und summiert: „As with Shakespeare‘s play, Cranko‘s ballet disturbs some people for what they consider a politically incorrect battleground between a handsome rough man and a feisty attractive woman. When a love quotient is there to underscore proceedings the ballet is permitted to put its tongue squarely in its cheek. The central characters suddenly become equal sparring partners in a fiery love match. When this happens the audience can relax in the belief that no one actually gets hurt.“ Beim NBC heißen die beiden Sparring Partner übrigens Greta Hodgkinson and Guillaume Coté.

Nicht ganz nachvollziehbar aus unserer kontinentalen Sicht die in diversen Berichten (auch im englischen „dance now“) geradezu überschwappende Begeisterung für Mark Morris‘ „Mozart Dances“ (inklusive der sehr renommierten David Vaughan, Clive Barnes und Clement Crisp). Aber dann müssen wir wohl den einzelnen Ländern nationale Präferenzen zugestehen – und so können wir nur mit Kopfschütteln zur Kenntnis nehmen, dass bei der St. Petersburger Verleihung der russischen Theaterpreise Boris Eifmans „Die Möwe“ einer der Golden Light Awards als beste Ballettproduktion zuerkannt wurde sowie den beiden Tänzern Maria Abashova und Dmitri Fisher für ihre Interpretationen in den Rollen als Nina und Treplev.

Im Januar-Heft der englischen „Dancing Times“ findet sich ein großes Interview mit Tamara Rojo vom Royal Ballet, bestechend in ihrer Intelligenz (vergleichbar darin Sylvie Guillem) – das ist übrigens die gleiche Ballerina, der der Herr vom Stuttgarter Hasenberg die Lizenz zum Casting als Tatjana in der Wiederaufnahme der „Onegin“-Produktion beim Royal Ballet verweigerte. In der gleichen Ausgabe ein erfreulicher Verweis unter dem Titel „Dance in Germany“ über den „huge success“ der Festspiele Ludwigshafen. Befremdlich allerdings die Bemerkung, dass es sich bei Ludwigshafen vor 2006 um eine „culturally starved industrial area“ gehandelt habe – als ob Ludwigshafen in seinem Pfalzbau-Theater nicht schon seit Jahren ein höchst anspruchsvolles Programm mit renommierten Opern- und Ballettkompanien aus Ost und West geboten hätte (namentlich als Rainer Antoine – wie schon vorher in Wiesbaden – als Programmchef dort tätig war).

Ach, es gäbe noch so viel berichten – unter anderem über die Bilderseiten von der Lincoln-Kirstein-Ausstellung in der New Yorker Keith de Lellis Gallery (immerhin 16 Seiten, ebenfalls in der „Ballet Review“). Über Kirstein lese ich übrigens gerade die umfangreiche, unglaublich gründlich recherchierte Biografie „The World of Lincoln Kirstein“ von Martin Duberman, die bei Alfred A. Knopf in New York erschienen ist – ein faszinierendes Buch über den Mann, der praktisch der Kopf hinter dem Aufstieg Amerikas zur internationalen Ballettgroßmacht war. Aber wenigstens noch ein Verweis, den ich mir nicht verkneifen kann – und zwar auf eine Meldung im englischen „Grammophon“ (‚The world‘s best classical music magazine‘: d’accord!), in dessen Februar-Heft der international renommierte Opernbassist Robert Lloyd (u.a. Sarastro) begeistert über seine Zusammenarbeit mit Robert Wilson berichtet: „Robert is a kind of artist, with dance as his clear point of origin ... Wilson gives everybody quite specific gestures ... Often in opera there‘s just too much going on – directors feel they need to fill the time with incessant movement. Similarly, many singers instinctively gesture when they sing – some can‘t help it. Robert told me: ‚When you are onstage there always has to be implied movement. Sitting back on your heels will lose the audience. You have to have a sense of great energy, even in stillness‘.“

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