Getanzte Autobiografie

Lior Levs Tanzsolo „Ich mit mir“ im Rotebühltheater

Stuttgart, 20/12/2008

Mit strahlenden Augen steht der kleine Junge an der Ballettstange, streckt die Beine und rundet die Arme, wirft in seinem grenzenlosen Stolz auf sich selbst immer wieder gierige, goldige Blicke nach Bestätigung in Richtung Lehrerin. Voll liebevoller Ironie spielt Lior Lev sich selbst als jungen Ballettschüler, der israelische Tänzer erzählt uns in „Ich mit mir“ seine eigene Billy-Elliot-Geschichte. Früher war der knapp zwei Meter große Tänzer im Corps des Stuttgarter Balletts, heute ist er Choreograf der freien Szene und erarbeitet als Pädagoge Tanzprojekte mit Jugendlichen. Das neue, knapp einstündige Tanzsolo des 39-Jährigen im kleinen Stuttgarter Rotebühltheater ist hemmungslos autobiografisch und deshalb so authentisch, ja sympathisch – der Israeli war schon immer ein grundehrlicher Künstler.

In chronologisch ungeordneten Erinnerungsfetzen springt er hier in der Zeit zurück, zeigt erste Ballettstunden und Disco-Besuche in Israel, empfindet Heimweh bei einem Brief seiner Mutter. Er beginnt als unheimliches Schattenbild, das sich wie eine riesige weiße Larve hinter einem Schirm windet und schließlich nach vorne auf den Boden fällt, eingewickelt in ein Leichentuch oder eine Nabelschnur, aus der er sich mühsam freitanzt. Zur Musikcollage von Marcus Vetter, die zwischen Rockbeats, Pulsieren und Rauschen changiert, tanzt uns der Choreograf nun in einer knappen orangenen Hose und dicken Stricksocken seine Erinnerungen vor. Man hört spielende Kinder und ein fernes Klavier, man sieht den kleinen Lior beim Üben und den jungen Lior, wie er in der Disco die Mädchen beeindruckt mit seinem coolen, wilden Tanzstil. Mit feiner Ironie und großer Zuneigung parodiert Lev die Kaffee schlürfende Ballettlehrerin und den lässigen Ballettchef in Holland, zupft hyperkritisch wie jeder Tänzer an seinem Körper herum.

Dazwischen kommen immer wieder freie, expressive Tanzsolos, weit ausholend oder auf dem Boden zuckend, roboterhaft oder zögernd: „Ich wollte immer nur tanzen!“, sagt der junge Tanzstudent einmal vorwurfsvoll, und das macht der erwachsene Lior hier mit Vehemenz. Aber irgendwann wird das selige Lächeln des kleinen Jungen zur an- und ausschaltbaren Maske, der erwachsene Tänzer verfängt sich einer Endlosschleife aus „Giselle“-Musik, springt immer wieder strahlend auf die Bühne und ausgepowert in die Kulissen. Wohl dem, so will uns dieses Solo sagen, der den Weg vom arg künstlichen Ballett zum eigenen tänzerischen Ausdruck findet – dennoch wäre bei aller persönlichen Authentizität ein wenig Überhöhung ins Allgemeine auch nicht schlecht gewesen.

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