Ensemble-Glanz bei der Wiederaufnahme von „La Bayadère“

Mit dem Debut von Tigran Mikayelyan als Solor

München, 08/06/2008

Gastdirigent Valery Ovsianikov trieb das Staatsorchester zu rasantem Tempo, setzte in Ludwig Minkus´ melodischer Ballettmusik deutliche Zäsuren, schuf in ihren ruhigen Passagen farbig-tragende Bögen und pointierte hellwach die Dramatik dieses Petipa-Balletts, als musikalischer Leiter der St. Petersburger Waganova-Akademie mit Geist und Zauber der Stücke dortiger Provenienz vertraut.

Das Corps de ballet mit vielen neuen Tänzern, ob als Tempeltänzerinnen oder Solors Freunde, agierte mit synchroner Exaktheit frisch und zugleich elegant gesammelt. Von Ivan Liska vor etwa einem Jahr erstmals als Nikiya eingesetzt, begann Ivy Amista mit beachtlicher Präsenz. Technisch hat sie eine gute Basis, doch um eine so zentrale Rolle des klassischen Kanons mit Stilsicherheit, Spannkraft und kontinuierlicher Ausstrahlung auszufüllen, wird sie noch viel lernen müssen. In dem Versuch, die diamantene Form mit Charme zu ersetzen, geriet ihr manches zu naturalistisch oder plakativ. Doch gelangen ihr auch Phasen mit detailreich-dezentem Spiel, in denen ihre schöne Energie die fehlende Geschliffenheit erfolgreich überspielte.

Tigran Mikayelyan, als Solor debütierend, hat andere Voraussetzungen: Er beeindruckte schon durch die formklaren Akzente seiner ersten hohen Sprünge, tanzte mit glänzender Technik präzise, kraftvoll und geschmeidig, agierte in der berechtigten Gewissheit, dass ihm die Armenische Ballettschule Erewan das richtige Stilgefühl für die russische Klassik mitgab, beinahe lässig. Seine darstellerische Leistung wirkte fehlerfrei, fiel aber wenig auf, weil bei solcher Form, Gestalt und Energie einfach alles gut aussieht. Ich möchte aber meinen, dass er noch tiefer in den Charakter seiner Rolle eindringen und sie künstlerisch intensiver gestalten könnte. Ein Beispiel dafür gab Alen Bottaini, der in seiner bejubelten Einlage als Goldenes Idol mit ebensolcher Stilreinheit und Energie, zusätzlich aber mit punktgenauer Musikalität und souveräner Rollendeckung tanzte. Er bleibt bis auf Weiteres auch die intensivste Verkörperung Solors, die das Bayerische Staatsballett zu bieten hätte. Kann man auch Ivan Liskas Verdienste um die Förderung von Nachwuchstänzern nur loben, wäre es doch wünschenswert, einen so verdienten Tänzer wie Alen Bottaini bald, nachdem Marlon Dino an der Seite Lucia Lacarras sein Debut hatte (s.u.), noch einmal als Solor sehen zu können.

Ein Gewinn war es auch, Natalia Kalinitchenko nach langer Verletzung wieder in einer großen klassischen Rolle zu sehen. Zwar fiel der noch ungewöhnlich hohe Grad ihrer Kontrolliertheit auf, aber sie verband in stilsicherer Spannung ihren musikalisch erfüllten Tanz mit darstellerischer Souveränität: Im 2. Bild, als Fiona Evans und Isabelle Severs an der Spitze der anderen sechs Mädchen den Djampe-Tanz mit synchroner Präzision und Schwung zelebrierten, Vincent Loermans als Radscha und Norbert Graf als Großer Brahmane expressiv agierten und sie als Gamzatti mit Nikiya stritt, bewies sie, was im Tanz Partnerbezug und Legato-Qualitäten sind. Im 3. Bild, das mit dem großartigen Defilée beginnt und die prächtige, zugleich leicht und lichte Ausstattung von Tomio Mohri am großartigsten zur Geltung bringt, z. B. wenn Jäger, Freundinnen und Bosl-Kinder als wogende Farbsymphonie in blau, rot und grün sind – an diesem Abend eine reine Freude –, war sie als Radscha-Tochter das strahlende Zentrum.

Im wilden Hindu-Tanz glänzte vor allem Wlademir Facchioni, und im Grand Pas bezauberten die Damenquartette um Nour El Desouki und Maxim Chashchegorov mit ihrer Eleganz, ehe Natalia Kalinitchenko mit schöner Linie Petipas kostbare choreografische Details zelebrierte, etwa indem sie dem Nikiya nachsinnenden Solor unter den Arm tanzte und ihn so aus seiner Grübelei neu mitnahm in den Schwung des Tanzes, in dem Tigran Mikayelyan dann mit einer tollen Manege imponierte.

In Solors Opiumtraum eröffnete er auch den Schattenakt mit einer fein geschliffenen Variation. Dann beeindruckten die 24 Schatten durch ihre ruhige Geschlossenheit, und in den Variationen überzeugten die elegante Séverine Ferrolier mit gewachsener Kraft ebenso wie die technisch starke Zuzana Zahradniková mit schöner Linie, ehe Daria Sukhorukova, zu Beginn der Spielzeit aus St. Petersburg gekommen, erstmals die schwierige 3. Variation tanzte: sehr organisch mit gekonntem Stil. Ivy Amista zeigte in Nikiyas Schleiertanz anerkennenswerte Einzelqualitäten wie die manchmal schön gehaltene Form oder ihre schnelle Schluss-Diagonale. Insgesamt begeisterte der Schattenakt die Zuschauer, und auch in der Tempelszene mit Bayadèren und Jägerfreunden erfreuten Form und Frische des Ensembles. Darstellerisch setzte Natalia Kalinitchenko erneut Höhepunkte, wenn Gamzatti ihren Solor aus seinen Gedanken an Nikiya immer wieder zur Hochzeit abzuholen suchte, wiederholt einfühlsam die Situation rettete und am Rand der Hilflosigkeit fast verzweifelte. Mit der alle Gegensätze aufhebenden Schluss-Apotheose bejubelte das Publikum zugleich die gelungene Wiederaufnahme eines großartigen Balletts.


Nächste Vorstellungen: In gleicher Besetzung am 8. Juni um 19.00 Uhr (!), mit Marlon Dinos Solor-Debut, Lucia Lacarra als Nikiya und Roberta Fernandes als Gamzatti am 13. und 21. Juni, um 19.30 Uhr.

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