Unklare Hierarchien

Ein Interview mit dem Choreografen Martin Nachbar

Berlin, 23/01/2008

Dass der sogenannte „Konzepttanz” nicht nur intelligent, sondern auch äußerst humorvoll sein kann, hat Martin Nachbar in den vergangenen Jahren mit Stücken wie „Ausflug” oder „Verdeckte Ermittlung” unter Beweis gestellt. Unter ihrer fast clownartig und harmlos anmutenden Oberfläche spielen diese Arbeiten auf subversive Weise mit unterschiedlichen Interpretationsebenen und der Reibung zwischen Sprache und Bewegung. Nachbars neueste Produktion scheint sich auf den ersten Blick in eine viel persönlichere Richtung zu bewegen. „Repeater” ist ein intimes Duo mit seinem Vater, einem Rentner, der über keinerlei professionelle Tanzerfahrung verfügt. Frank Weigand sprach mit dem Choreografen in Berlin über den Arbeitsprozess, autobiographische Hintergründe und den künstlerischen Umgang mit authentischen Material.

Redaktion: In deinem neuen Stück „Repeater” stehst du mit deinem Vater auf der Bühne und bewegst dich auf dem schmalen Grat zwischen Kunst und Privatleben. Einerseits fühlt man eine Menge unausgesprochener Vater-Sohn-Konflikte auf der Bühne mitschwingen, andererseits werden sie niemals explizit thematisiert. Wie hat das Publikum darauf reagiert? 

Martin Nachbar: Es gibt grundsätzlich zwei Typen von Reaktion. Entweder finden Leute das gut, dass das Stück Raum für Assoziationen gibt und den Dingen nicht so deutlich Ausdruck verleiht. Und dann gibt es Leute, die hätten gerne gehabt, dass das persönliche Element sichtbarer ist. Aber wie viel sichtbarer geht es denn noch, wenn ich meinen Vater neben mir hinstelle? (lacht) Ich weiß natürlich schon ungefähr, was die meinen, aber ich glaube, die kennen nicht die Problematik von Laienarbeit. Bestimmte komplexe Zusammenhänge kann mein Vater einfach nicht performen, und es besteht immer die Gefahr ins Psychodrama zu rutschen. 

Redaktion: War dein Vater sofort einverstanden, ein Stück mit dir zu machen? 

Martin Nachbar: Witzigerweise ja. Mein Ausgangspunkt war ja, dass ich mehr Zeit mit ihm verbringen wollte, und zwar nicht, wie man sonst so ein Wochenende bei seinen Eltern verbringt. Das ist sehr schön, aber nach ein paar Tagen ziemlich öde. Ich wollte das eben so machen, dass ich nicht das Gefühl habe, ich vertu meine Zeit. Und da schien mir das der beste Weg. Ich hab ihn dann mal am Telefon gefragt, und da meinte er: „Ja, wenn du weißt, was ich da machen soll.” Ich war erstaunt, wie aufgeschlossen er war und wie schnell er gelernt hat. Ich glaube, das ist etwas, das ich von ihm habe, schnell zu lernen und auch performen zu können. Meine Mutter hat sich aus der Distanz immer total über die Berichte gefreut und gesagt: „Ich hätte sowas nie gekonnt.” 

Redaktion: Ist dein Vater glücklich mit alldem? 

Martin Nachbar: Oh ja. Der freut sich total und hat da großen Spaß dabei. Er steht gerne vor Leuten auf der Bühne. Ich habe natürlich mehr Arbeit dabei. Ich muss während der Performance total darauf achten, dass es funktioniert. Ich muss auch immer das Ganze coachen und das Aufwärmen machen. 

Redaktion: Wie habt ihr gearbeitet? 

Martin Nachbar: Wir hatten ein Jahr Zeit, und haben uns in der Zeit viermal getroffen. Und beim allerersten Mal habe ich einfach Übungen vorgegeben. Da hat mich mein Vater immer gefragt: „Was ist das für eine Übung? Wohin kommt das in dem Stück?” – „Keine Ahnung, Papa!” Das hat mich ziemlich genervt! Deshalb hab ich mir für das zweite Mal vorgenommen, was zu machen, was ich auch nicht kenne. Ich hab mir dann ein Buch von Laban über Amateurtanz besorgt. Wir haben zusammen die Texte gelesen, und dann hat immer einer probiert und der andere zugesehen. Das war schon sehr spannend, denn natürlich war klar, dass ich mehr Erfahrung hatte und damit anders umgehen konnte, aber wir haben zusammen sehr viel herausgefunden. Das Solo von meinem Vater basiert auf einer Improvisationsübung aus diesem Buch. Wir haben also über ein Jahr hinweg ganz viele kleine Sachen gemacht, um dann in den letzten 5 Wochen eine Auswahl aus diesem Material zu treffen. Das war natürlich eine seltsame Beziehung: Gleichzeitig Vater-Sohn und Laie-Profi...

Redaktion: Aber seltsamerweise wirkt das Ganze auf der Bühne überhaupt nicht hierarchisch... 

Martin Nachbar: Ja, weil ich ihn nicht an die Hand nehmen wollte. Es gibt ein Stück von einer Spanierin, „Ich und meine Mutter” heißt das. Und da ist das viel mehr so, dass sie ihre Mutter quasi auf die Bühne führt. Das ist sehr rührend und auch sehr charmant, aber für mich war das etwas, das ich so nicht wollte. Einer der zentralen Punkte von „Repeater” ist ja, dass die Hierarchien zwischen den Generationen unklar sind und bleiben.

Das hat auch biographische Hintergründe. Wir ergreifen beide selten die Initiative. Mein Vater so gut wie nie, und auch ich habe die Tendenz, mich erstmal zurückzuhalten. Zumindest im Leben - auf der Bühne nicht unbedingt. Aber mein Vater hat ja fast keine professionellen Werkzeuge für die Bühne, also kann er nur mit den Werkzeugen agieren, die er privat auch hat. Dadurch dass ich ihn nicht führen wollte, habe ich mich bewusst zurückgenommen und bin dadurch natürlich in eines meiner eigenen Patterns verfallen, das sich über 36 Jahre hinweg entwickelt hat (lacht).

Insofern kann ich mir gut vorstellen, dass es nicht so leicht ausmachbar ist, wer wann führt. Es gab so einen Punkt, da hat mein Vater mich nachgemacht, und ich habe festgestellt, dass ich dabei genau die gleiche Körperspannung hatte wie er. Ich fand das total spannend, weil ich dachte: Mein Vater macht jetzt meine Bewegung nach, aber ich imitiere ihn seit 36 Jahren.

Redaktion: Manche Leute haben bei „Repeater” etwas Theatralischeres erwartet, vor allem ein humorvolleres Stück... 

Martin Nachbar: Tja, Humor und Konfrontation sind immer nur möglich, wenn beide das wollen. Konfrontation mit meinem Vater geht nicht wirklich – und Humor hat sehr stark mit Timing zu tun. Und Timing hat unglaublich viel mit Talent, aber auch mit Handwerk zu tun. Um auf der Bühne Timing zu finden und reproduzierbar zu machen, dafür muss ein Laie schon ganz extrem begabt sein. Sprachlich hätte man da vielleicht noch ein paar charmante Anekdoten einfließen lassen können, aber wir hatten uns bewusst dafür entschieden, ohne Sprache zu arbeiten. 

Redaktion: Du hast ja auch davor viel mit „authentischem” Material gearbeitet. Bei „Ausflug” zum Beispiel, wo du den Verkaufsvortrag einer Butterfahrt nachperformst. Was ist denn hier anders? 

Martin Nachbar: Hier ist das Material – um mit Merleau-Ponty zu sprechen – „fleischiger” als die Butterfahrt, die ja wirklich nur Grundlage für „Ausflug” war. Um zu verdeutlichen, was „Repeater” und „Ausflug” trotzdem verbindet, möchte ich erstmal mit einem Zitat antworten. Eine amerikanische Performancekünstlerin hat einmal gesagt: „On stage I’m not me, and I’m not not me”. Ich finde, dieses „not not me” beschreibt am allerbesten den Begriff der Authentizität, durch eine doppelte Verneinung, die die Authentizität bejaht und zugleich bricht. Was mich interessiert, ist es, verschiedene Ebenen übereinander zu legen.

Dass du als Betrachter/Zuschauer nicht mehr genau weißt: Sehe ich jetzt eine Performance, oder sehe ich eben Klaus und Martin Nachbar im Wohnzimmer? Oder bei „Ausflug”: Sehe ich jetzt die Version einer Butterfahrt, oder einen Performer, der sein Stück verkauft? Das ist die Arbeit an diesem „not me/not not me”.

Ich bin nicht solch ein Freund von Stücken, die etwas extrem Persönliches haben. Ich versuche da eher, durch eine Zurückhaltung Transparenz und eine Projektionsfläche für verschiedene Sichtweisen zu erzeugen. In dem Stück mit meinem Vater überkreuzen sich verschiedene Ebenen - zwischen meinem Vater und mir, zwischen uns und dem Publikum, zwischen dem Publikum und ihren eigenen Eltern oder auch Kindern. Das finde ich spannend, wenn man das nicht mehr ganz genau trennen kann.

Redaktion: Würdest du nochmal ein Stück mit deinem Vater machen? 

Martin Nachbar: Ein „Repeater repeated” (lacht)? Nein. Das ist schon so intensiv genug. In dem Projekt, das ich danach machen will, geht es um die ganze Bandbreite zwischen „Vorstellung” (Idee) und „Vorstellung” (Bühne). Um die Frage: Wie bildlich ist Tanz? Darum, wie man von einem Gefühl zu einem Bild kommt, zu einer Bewegung und wieder zu einem Bild. Als Ausgangspunkt habe ich mir das Bild „Las Meninas” von Velázquez ausgesucht. Also, wie sieht der Maler, der ja nur im Spiegelbild auftaucht, diese Gruppe und den Raum? Und witzigerweise ist das ja auch ein Familienbild. Aber das ist mir erst später aufgefallen.

Nächste Aufführungen von „Repeater”: 24. bis 26.1.: Kampnagel, Hamburg, www.kampnagel.de 31.1. bis 2.2.: Mousonturm, Frankfurt/Main, www.mousonturm.de

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