„Die Zeit rast schneller, ich selbst bin ruhiger“

Die Münchner Tänzerin und Choreografin Jessica Iwanson wird 60

München, 24/04/2008

Jessica Iwanson strahlt wie eine Sonnenblume, als sie ihr Studio an der Adi-Maisinger-Straße betritt. Überraschung! Neu und weiß ist der Raum sowieso, doch heute, einen Tag nach ihrem Geburtstag, haben sich die Schüler ihrer Schule für zeitgenössischen Tanz in der Farbe von Meerschaum gekleidet und umringen einen Ehrenstuhl mit weißer Husse. Sie sind menschliche Wellen: Eine Ehrenvorstellung von „Skagen“, einer Ode ans Meer, steht als Geschenk auf dem Plan.
1988 kreierte Iwanson dieses Stück, das nach einer Landzunge in Dänemark benannt ist, und das so exemplarisch für ihr geliebtes Thema „Mensch und Natur“ steht. Zur Zeit seiner Entstehung residierte die Schwedin Iwanson schon seit 15 Jahren in München. Sie war 1973 an die Isar gekommen, um im Jazz Depot von Bill Milliés einen verunglückten Dozenten zu ersetzen – doch schon drei Monate nach ihrer Ankunft gründete sie die Iwanson Dance Company, samt eigener Schule, und blieb. Seither ist sie in München DIE Botschafterin des modernen Tanzes geworden, als Tänzerin, Choreographin und Lehrerin.

Eine Reisende blieb sie trotzdem immer. Erstens stammt Iwanson aus dem weltoffenen Stockholm und genoss es Zeit ihres Lebens, ihre Fühler in alle Richtungen auszustrecken. Schon als junge Frau absolvierte sie eine Ausbildung als Gesellschaftstanzlehrerin in Brighton; nach ihrem Abschluss an der Stockholmer Ballettakademie folgte sie Lehrern und Choreografen wie Alvin Ailey und Katherine Dunham nach New York, studierte dort auch ein Jahr lang bei Martha Graham. Danach kam sie ans Cramér Balletten zurück nach Schweden, verbrachte anschließend drei Jahre in der Company von Peter Goss in Paris.

Zweitens recherchierte Iwanson ihre Natur-Stücke stets vor Ort. „Für ‚Nordpol’ fuhren wir 1990 an den nördlichsten Zipfel von Norwegen“, berichtet Iwansons Lebensgefährte Stefan Sixt, „und für ‚Wüste’ ging es in die Sahara. Jessica nimmt die Atmosphäre dieser Orte auf, bevor sie etwas daraus macht, improvisiert gerne im Freien.“ Ihr wichtigstes Werk, „Nachtvögel“, zeigte und überarbeitete sie an zahlreichen Theatern in Europa.
Nach dem Applaus für „Skagen“ kann Iwanson nicht widerstehen, die wichtigsten Bewegungen des Stücks aufzugreifen und zu erklären. „Das hier steht für den Kampf, den das Leben als Tänzer stets bedeutet“, sagt sie, und schwingt den angewinkelten Arm vor dem Kopf. „Und das ist die Wichtigste“. Sie macht ausgreifende Schritte mit vollendetem Armschwung. „Immer weiter machen, bedeutet sie.“

Immer weiter machen – das ist das Lebensmotto von Jessica Iwanson. „Deshalb empfinde ich die 60 auch nicht als Angstalter“, erklärt sie. „Ich fühle mich einfach nicht so alt. Und ich tanze ja auch noch.“ Persönlich auf der Bühne stand sie zuletzt 2005 mit ihrem Soloprogramm „...und dann?“, in den Jahren zuvor gab es viele Gastchoreografien in Schweden und USA sowie regelmäßige Neukreationen für die Iwanson Company. Interessanterweise widmen sich ihre neueren Stücke (etwa „Time out“, „Zeitfenster“ oder „Clockwork“) nicht mehr der Natur, sondern den Themen Zeit und Raum. Wieso? „Womöglich liegt das daran, dass sich mein Traum von der Natur endlich erfüllt hat“, sagt Iwanson. „Ich lebe seit einigen Jahren ja endlich auf dem Land, muss mich nicht mehr nach Natur sehnen.“ Oder wird mit zunehmendem Alter das Thema Zeit wichtiger? „Schon möglich. Einerseits rast mit der Reife die Zeit ja immer schneller, andererseits ist man selbst ruhiger.“

Seit rund drei Jahren konzentriert sich Iwanson stark auf den Nachwuchs. Ihre Iwanson Schule für zeitgenössischen Tanz ist eine internationale Größe, arbeitet fest mit der Ballettakademie Stockholm zusammen und zieht Schüler aus der ganzen Welt an. Seit ihren Anfängen gingen zahlreiche Choreografen aus ihr hervor, darunter Anna Holter, Sabine Glenz, Micha Purucker und zuletzt Jungtalent Johannes Härtl. Rund ein Drittel der Auszubildenden kommt aus Schweden, die erste Schülerin aus Japan trat letztes Jahr auf den Plan. Der Förderung des Nachwuchses dient auch die Stiftung, die Iwanson und Sixt letztes Jahr gegründet haben: Sie vergibt den Tanzpreis ‚Isadora’, Stipendien und Reisekostenzuschüsse. Weitere große Pläne, die Jessica Iwanson und ihr Partner im Visier haben, sind eine engere Kooperationen mit dem Gärtnerplatztheater und – ein Tanzgymnasium. „Gerade in Sachen Tanz und Schule herrscht in München zurzeit ja Aufbruchstimmung“, sagt Stefan Sixt. „Und das Kulturreferat ist gegenüber der Idee, mit der Iwansonschule ein Tanzgymnasium zu etablieren, erfreulicherweise sehr aufgeschlossen.“

Jessica Iwanson freut sich für heute aber ganz besonders über das neue 200-Quadratmeter-Studio auf dem Feierwerk-Gelände, das sie mit städtischem Zuschuss mieten kann. „Das ist mein schönstes Geburtstagsgeschenk“, sagt sie, „ein Probensaal für junge Choreografen aus unserer Schule.“ Bleibt noch die Frage, ob Jessica Iwanson mit 60 denn langsam einen Termin für die Rente in ferner Zukunft auftauchen sieht. „Nein“, sagt sie entschieden. „Das kommt ganz einfach, wenn es kommt. Ich trainiere immer noch täglich mein Modern-Exercise zuhause. Das muss sein. Erst wenn man damit aufhört, ist es vorbei.“ Stefan Sixt bemerkt augenzwinkernd: „Jessicas Großtante starb kürzlich mit 91 in den USA. Sie tanzte bis zum Alter von 87 in einer Profi-Kompanie. Die Frauen in dieser Familie denken nicht so bald ans Aufhören.“ Auch Iwansons Lehrerkollegium, in Wellenweiß gekleidet, denkt nicht daran. „Wir halten dich für höchst förderungswürdig“, befinden die Pädagogen lachend – und überreichen der Grande Dame des zeitgenössischen Tanzes ihren eigenen Preis: eine goldene Isadora.

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