Auch eine Form des November-Blues

The Forsythe Company mit „I don’t believe in outer space“im Bockenheimer Depot

Frankfurt, 23/11/2008

William Forsythe erforscht schon seit einiger Zeit andere Räume als nur die des Tanzes, insbesondere Rauminstallationen, die den Bereich der Bildenden Kunst berühren. So steht auch am Eingang zu seiner neuesten Produktion „I don’t believe in outer space“, die am 20. November Uraufführung in Frankfurts einstigem Straßenbahndepot hatte, eine für die Zuschauer nicht betretbare und nur eingeschränkt sichtbare Rauminstallation. Im Foyer der lang gestreckten Halle lädt eine hölzerne Rückwand mit ihren Gucklöchern zum Durchschauen ein. Eine Art Atelier ist zu erkennen, in der lebensgroße Fotografien von Forsythe-Tänzer/innen auf langen Papierbahnen zu sehen sind. Nicht ordentlich gereiht, sondern wie in einer Arbeitssituation herumliegend oder -hängend. Die verfremdeten Gesichter erinnern an Collagen. Hinter dieser beleuchteten Kunstwelt des Ateliers ist die noch verdunkelte Tiefe des Tanzraums zu erahnen.

Obwohl der Titel suggeriert, dass Forsythe nicht an äußere (Zeit-, Zwischen-, Real-)Räume glaubt, so werden diese in der Choreografie beständig produziert, um sie in Forsythe’scher Manier gleich wieder zu zertrümmern. Das Publikum sitzt nicht in ansteigenden Reihen auf der Schmalseite der Bühne, was einen guten Überblick aus der Distanz ermöglichen würde, sondern an der Längsseite auf nur wenig ansteigenden Sitzreihen, was angesichts des zumeist disparaten Bühnengeschehens das Gefühl des Mittendrin-Sitzens hervorruft.

Auf dem Boden verstreut liegen selbst gebastelte Bälle verschiedener Größe, die, aus einer amorphen Masse bestehend, mit schwarzem Klebeband umwickelt sind. Im Stück werden sie gekickt, geworfen, gehalten, auch in die lockere Sportkleidung (Dorothee Merg) gestopft, bis die Körper merkwürdig deformiert aussehen. Alles wirkt spielerisch, experimentell, scheinbar zufällig. Das Atelier mit der Rauminstallation liegt außerhalb der Tanzfläche: Es ist nur von Ferne zu betrachten ist und ähnelt dabei einem Gemälde. Für die Tanzenden wird es auch zum Rückzugsraum. Musik (Thom Willems) und Sounddesign (Niels Lanz) sind melodiös und rhythmisch, einige Sequenzen aus Swing und Jazz, aus Klassik und Disco-Musik scheinen vertraut. Hin und wieder donnert ein unangenehmes metallisches Knallen dazwischen, doch häufiger ist die Szenerie in ruhige und verhaltene Sounds gehüllt, überlässt allen (Klang)Raum den stimmlichen Performances von einigen der 18 Tänzer und Tänzerinnen. Sogar eine Opernparodie ist dabei und lässt schmunzeln.

Die Tanzenden bewegen sich mehr als von Forsythe gewohnt zum Rhythmus der Musik. Ausgesprochen sportliche Szenen sind dabei, auch Freestyle Dancing, Slow Motion und Robot-Dance; alles nah an der Jugendkultur. Die Performance des Forsythe’schen Bewegungsvokabulars ist grandios in ihrer Perfektion. Die Suche nach den Extremen der Gelenke und des Körperschwerpunkts außerhalb der Mitte enden selbstironisch schon mal auf dem Hinterteil. Manchmal fühlt man sich auch an das „Ministry of Silly Walk“ der legendären Monty Pythons erinnert. Als Hauptmotiv erscheint die Vereinzelung des Menschen, egal ob einzeln oder in der Gruppe ausgetragen. Doch wenn zwei zusammen agieren, dann kann es höchst intensiv werden wie bei dem minutenlangen, von Seufzen und Stöhnen begleitete Ineinander-Verhakt-Sein von Fabrice Mazliah und Christopher Roman, die sich schier nicht voreinander lösen können.

Zentrum dieser Aufführung ist Forsythe’s langjährige Mitstreiterin Dana Caspersen, die auch in der Zeit von Forsythe am Frankfurter Schauspiel besondere stimmliche Aufgaben übernahm: sie erzählt in klarem Englisch die verrücktesten Geschichten, macht Sprechen zu einem akustischen Erlebnis und steigert im aktuellen Stück noch ihre darstellerische Kraft. Sie ist die „creaping creature“ im Opernduett, sie verzehrt sich vor Liebe in ihrer Version des Songs „I put a spell on you“ oder kämpft mit Exorzistenstimme gegen das gepflegte Hausfrauenimage à la Doris Day an. Das 85-minütige Stück endet mit langen Phasen von ruhigen Einzel- und Dreier-Sequenzen. Ist es insgesamt von Humor und Selbstironie durchzogen, so dominiert gegen Ende die Melancholie. Dana Caspersen intoniert ihr „No more“ der großen und kleinen Dinge des Lebens, die schließlich alle ihr Ende haben. Banalität und Zufall, daraus besteht das Leben, mehr nicht. Auch eine Form des November-Blues.

www.theforsythecompany.de

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