Ich erzähle meine „Bewegungs-Geschichte“

Agnès Noltenius im Interview mit Malve Gradinger über ihre Arbeit „Senso Solo“

München, 24/10/2008

Es ist immer wieder spannend, wie ein Lebenslauf zufällig einen Menschen in verschiedene Städte, durch verschiedene Räume führt. Agnès Noltenius, Tochter einer Französin und eines Deutschen, geboren in Freiburg, ausgebildet an der Ballettschule der Pariser Oper, 13 Jahre Tänzerin in William Forsythes Frankfurt Ballett, ist durch ihren Mann Sven Strunkeit, seit 2006 Soloposaunist im Orchester der Bayerischen Staatsoper, zur Wahl-Münchnerin geworden. Für die städtische Dance-Biennale (25. 10. - 8. 11.) hat sie ein 23-minütiges Solo entworfen, das zusammen mit Stücken von Forsythe, Marco Goecke und Hans Henning Paar am Sonntag (19 Uhr) im Gärtnerplatztheater zur Uraufführung kommt.

Redaktion: Frau Noltenius, Ihr „Senso Solo“, das sie selbst tanzen werden, geht aus von Georges Perecs Roman „Espèce d' Espace“. Der 1982 mit 46 verstorbene Autor hat sich generell intensiv mit dem „espace“, dem Raum, beschäftigt.

Agnès Noltenius: Perec sagt: „Wir müssen immer wissen, wie spät es ist, aber wir fragen uns nie, wo wir sind.“ Er spielt mit der Sprache und mit den unterschiedlichen Räumen, durch die wir im Leben hindurchgehen. Und nach der Prägung durch Forsythe, für den der Raum auch so wichtig ist, war das mein Ausgangspunkt. Ähnlich wie bei Perec gibt es bei mir sieben Bilder. Ich erzähle darin meine „Bewegungs-Geschichte“, von der Besessenheit zu proben, zu machen, machen, machen, bis man die Bewegung endlich im Körper hat, und meinen so unterschiedlichen Weg von der Opéra de Paris und „Schwanensee“ bis zu Forsythe und dem Punkt, wo ich heute im Tanz stehe. Der Zuschauer muss die sieben Stadien nicht unbedingt erkennen, nur dass es von einem Zustand in einen anderen übergeht.

Redaktion: Sie haben nach ihrer Ausbildung zunächst im Ballet du Rhin getanzt.

Agnès Noltenius: Zehn Jahre lang, unter Jean Sarelli, einem ehemaligen Ballettmeister der Pariser Oper, der ein sehr klassisches Repertoire pflegte. Dann habe ich ein Stück von Forsythe in Paris gesehen und ich, nein mein Körper wusste: das muss ich tanzen. So wie Forsythe die klassische Technik weiterentwickelt hat, wie er bis an extreme Grenzen gegangen ist, bedingungslos risikobereit, das hat mich total fasziniert, dieses lockere Spielen mit der Technik.

Redaktion: Und sind Sie auch dann noch mit ihm mitgegangen, als seine Bewegungen völlig zerbrachen, nicht einmal Reste des Klassischen mehr da waren?

Agnès Noltenius: Ich habe 2002 die Company verlassen, gehörte also zur Generation von „Limb's Theorem“ und „Loss of Small Detail“, wo noch viel klassische Technik gefragt war. Forsythe hat einem aber auch nie etwas aufgezwungen. Die eher theatralischen Sachen musste ich nicht machen. Und dann habe ich ja schon ab 1995 die Proben und Vorstellungen fotografiert und ausgestellt, unter anderem im Théâtre du Châtelet in Paris, im Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel, in der Filature in Mulhouse und der Galerie Treppenhaus in Frankfurt. Aus dieser Arbeit ist auch der Fotoband „Detail -- Forsythe“ entstanden (erschienen bei Editions Complexe -- Arte Editions, die Red.).

Redaktion: Ihr „Raum“ ist also jetzt ein ganz anderer...

Agnès Noltenius: Nach 30 Jahren Tanz war mein Körper ziemlich angestrengt. Jetzt unterrichte ich sehr viel, gebe international Workshops in der Forsythe-Improvisationstechnik. Meine erste Choreografie habe ich 2006 für die Hochschule in Lyon gemacht. Am 20. November hat ein neues Stück für zehn Tänzer in der Hochschule von Paris Premiere. Allerdings, ein Solo zu machen, in dem ich mich auch von Forsythes Einfluss zu lösen versuche, das habe ich jetzt erfahren, ist superschwierig. Man ist konfrontiert mit sich selbst. Am Anfang stand ich stundenlang im Studio -- aber dann lief es gut. Und meine Tochter, sie ist jetzt acht, wird mich zum ersten Mal auf der Bühne sehen. Das macht mich schon glücklich.

Redaktion: Und Ihr Mann wird spielen...

Agnès Noltenius: Hauptsächlich verwende ich eine Sound-Montage, ich arbeite dafür mit Forsythes Tontechniker zusammen. Und dann haben wir gedacht, dass wir etwas Harmonisches dazu brauchen. Mein Mann und ich wollten immer schon etwas zusammen machen. Er spielt jetzt gregorianische Choräle, die für Posaune arrangiert sind. Aber es klingt nicht wie 15. Jahrhundert. Es könnte auch etwas Zeitgenössisches sein.

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