Verpuppt und total verkopft

Email oder e-mail: es lebe der kleine Unterschied!

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Bonn, 14/04/2007

„Coppélia ou La Fille aux yeux d´émail“, das war einmal eine hübsche Ballettoperette von Monsieur Léo Delibes und Arthur Saint-Léon des Pariser Jahrgangs 1870. Junge verguckt sich in eine Puppe und lässt seine Verlobte im Stich, doch die rächt sich und zerstört die mechanische Doppelgängerin und mithin das Prachtexemplar des kauzigen Puppendoktors, damit die Wirklichkeit wieder in ihre Rechte eingesetzt wird und das Happyend gefeiert werden kann.

Nicht so in Bonn, wo das Choreografische Theater des Johann Kresnik von der Auszehrung befallen und in Auflösung begriffen ist. Weswegen man als Nothelfer den 42jährigen Stephan Thoss während seines Sabbaticals als Ex-Ballettchef in Hannover und designierter Ballettdirektor in Wiesbaden importiert und dort sein Tanzspiel „Das Mädchen mit den Emailaugen“ zur Uraufführung gebracht hat, ein anderthalbstündiges Tanzspiel, mit allerlei Zwischenmusiken (à la Tonband) von Brahms über Kálmán bis zu diversen Pop-Einsprengseln. Die Email-Augen der ursprünglichen Puppe spielen allerdings keine Rolle mehr – eher schon die e-mail Virtualität einer Second Life-Welt, in der alle Frauen nur Puppen sind – Projektion der Männersehnsüchte, ob jung oder alt. Denn die Alten verklären die Vergangenheit und für die Jungen zählt nur die gestylte Gegenwart der Models.

Und so wird in Bonn aus der lebensfrohen, mit Balkan-Rhythmen gewürzten Ballettoperette eine fahle und reichlich zähe, gründlich verkopfte Trauerkloßiade. Das ist nun so ziemlich die Gegenposition zur Karlsruher „Coppélia“ von Peter Wright – Ibsens „Puppenhaus“ mit Hilfe der Thoss-Dramaturgin Anja von Witzler zeitgeistig aufgemotzt. Doch während man aus der Karlsruher Aufführung beschwingt herausgeht, den Kopf schwirrend von den süchtig machenden Melodien Monsieur Delibes´, zerstreuen sich die wenigen Besucher dieser Samstagaufführung bedripst und irritiert. Am ehesten überzeugen noch die tragischen Verstrickungen der drei Protagonisten (Ziv Frenkel als Alter Mann, Linda Ryser als Junge Frau und Rory Stead als Junger Mann), zu den interpolierten Musikstücken, in denen sich Thossens Dresdener Soft-Expressionismus aus der Ära der Brückemaler um Mary Wigman – die heutigen Dresdner Neo-Brückisten? – zu eindrucksvollen Charakterporträts verdichtet, der allerdings stilistisch so ganz und gar nicht zum pausbäckigen galizischen Optimismus und Charme der Delibes-Musik passt (wie Thoss auch bereits an der stilistischen Vorgabe der Tschaikowsky-Musik in seiner „Schwanensee“-Inszenierung in Hannover gescheitert ist).

So mündet die Bonner Aufführung des „Mädchens mit den Email-Augen“ in ein Sorryend der vierjährigen Bonner Ära Johann Kresnik. Und es ist keine Hoffnung auf eine glücklichere tänzerische Zukunft in Sicht! Die Wiesbadener aber, von Ben van Cauwenberg jahrelang verwöhnt und versöhnt mir ihrer heilen Welt, tun gut daran, sich für die erste Thoss-Saison warm anzuziehen, denn ihrem bisherigen durchsonnten Ballettklima droht ein tanztheatralischer Kälteeinbruch in umgekehrter Proportion zur derzeitigen Weltsituation. Ausführlich beschreibende Kritiken sind unter dem Titel „Nimm mich, wie ich nicht bin“ am 28. Februar im tanznetz erschienen.

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