Repertoire in Gala-Qualität

Eine Kompanie, die das Publikum fragen lässt: Und wann ist die nächste Vorstellung?

oe
Zürich, 17/06/2007

Zürich, 15./17.06.2007 Der eigentliche Anlass der Reise waren diesmal zwei Opernaufführungen: eine „Arabella“ in Weltklasse-Besetzung und die äußerst selten anzutreffende „Francesca da Rimini“ von Riccardo Zandonai. Aber wer könnte der Versuchung widerstehen, nochmals sich vom Zürcher „Don Quixote“ verführen zu lassen, wenn es den am Abend zuvor gibt und zwischen den beiden Opernvorstellungen noch eine Matinée mit dem neuen Balanchine-Bigonzetti-Spoerli-Programm mitzunehmen? Ich jedenfalls nicht! Und so kam ich denn zum letzten Wochenende an drei Tagen auf vier Vorstellungen im Zürcher Opernhaus (und am Montag früh gegen zwei im strömenden Regen von Zürich bis Stuttgart dank großzügiger Automitnahme wieder in die Schwabenkapitale zurück). Total erschöpft, wie man sich denken kann – aber auch total beglückt! Denn es waren vier Vorstellungen von einer Qualität, in der Oper wie im Ballett, wie man sie in Berlin (oder Hamburg oder München oder Stuttgart – von Wien bei dessen Fehlanzeige in Sachen Ballett ganz zu schweigen) nur in Ausnahmefällen zu sehen bekommt.

Warum tue ich mir das an, „Don Q“ schon wieder – nach dem triumphalen Bolschoi-Gastspiel in München vor ein paar Wochen? Kann man die beiden Vorstellungen überhaupt miteinander vergleichen? Natürlich nicht! Und doch, denn, wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass mich ein „Don Q“ unweigerlich mehr begeistert als eine noch so gut getanzte „Sylphide“, eine „Giselle“, ein „Schwanensee“, ein „Dornröschen“, ein „Nussknacker“, ja und auch als eine „Bayadère“ – also als irgendein anderer Klassiker des gängigen Repertoires. Ganz sicher nicht, weil mich Don Quixote als Ballettheld mehr interessiert als James, Albrecht, Siegfried, Desiré, Solor oder wie sie sonst alle heißen. Zum einen weil mir die Minkus-Musik jedes Mal derart in die Glieder fährt, dass ich kaum stillsitzen kann und wenn ich schon nicht mittanzen kann, mir wie ein dirigierender Zappelphilipp vorkomme. Zum anderen der schieren Tanzquantität wegen – jawohl, nicht der Qualität, sondern der Quantität wegen: spanisch, klassisch, en charactère – diese aus allen Nähten platzende Tanzlust.

Wie langweilig erscheinen mir dagegen alle diese wohldressierten Geistererscheinungen, Märchenfiguren, Feen, Schwäne und Bajaderen gegen diesen überbordenden tänzerischen Élan vital (wie ihn sonst unter den Klassikern nur noch „Napoli“ zu bieten hat).Und das macht eben die Zürcher Ballettvorstellungen aus, dass die Tänzer diesen Élan dansant so überströmend kommunizieren, nicht nur in den Hauptrollen wie die ihre Beine wie Pfeile in den Himmel schießende Ukrainerin Anastasia Matvienko als Kitri oder der schnittig-schicke Stanislav Jermakov als Basil, sondern auch der rassige Torero von Vahe Martisoyan und seine Frasquita-Partnerin Roberta Martins, ganz zu schweigen von dem Luftikus Arman Grigoryan, diesem Musterexemplar der Männerschule von Jerewan (wie sie früher aus der Puschkin-Klasse in Leningrad hervorgingen), die reinrassig klassischen Evelyne Spagnol und Sophie Benoit als Traumerscheinungen, die feschen Toreros und all diese kosmopolitischen Spanier aus den Ballettstudios in den USA, in Südamerika, Japan, Korea, China, Indien, Bulgarien, Ungarn, Portugal, Belgien und Frankreich – ja und auch wirklich aus der Schweiz und sogar aus Leipzig und Hannover ...

Diese reingeschmeckten Schweizer tanzen heute mit einem Temperament als seien sie all im Rheinfall von Schaffhausen getauft worden, Zeugen des Tanzgottes, so sprudelnd, so überschäumend, so elektrisierend surfend auf den Klangwogen wie sie der gute alte Minkus da zusammengequirlt hat! Es ist eine Lust, in Zürich ins Ballett zu gehen! Auch in der bumsvollen Matinee an diesem strahlenden Sommersonntag, da die ganze Stadt auf den Beinen ist und die Straßen säumt als Zaungäste der Inlineskaters, die da über den Asphalt jagen und den öffentlichen Verkehr zum Erliegen bringen. Drinnen also bei Balanchine und seinem „Concerto Barocco“ nebst „Apollo“, die seit der Premiere noch an Dichte und Konsistenz gewonnen haben und wie der Traum von einer Welt, in der alles Harmonie und Schönheit ist, an einem vorüberziehen. Und dann Bigonzettis Farbenrausch der „Kazimir‘s Colours“, mit Yen Han und wieder diesem Grigoryan, die das ganze Ensemble wie aus einem Kaleidoskop geschüttelt über die Bühne purzeln lässt, elektrisiert durch den vorwitzigen Charme der Musik des jungen Schostakowitsch.

Doch was der junge Schostakowitsch konnte, das kann sein heutiger schottischer Kollege (Enkel?) James MacMillan in seinem zweiten Klavierkonzert allemal, diese augenzwinkernde Montage aus keltischer und irischer Folklore nebst Reels und Donizettis „Lammermoor“-Spökenkiekerei. Spoerli jedenfalls hat sie in seinem „Prime Time“ zu einer karnevalistischen Extravaganz inspiriert, die den Mummenschanz seiner Basler Herkunft ins weltläufig Divertimentohafte transponiert und die Tänzer, wieder mit Yen Han und Grigoryan, Martirosyan diesmal mit Julie Gardette als Partnerin, dem exquisiten Quartett von Galina Mihaylova und Vitali Safronkine, Diana Miqueo und Iker Murillo nebst einem Pas de douze und dem Ensemble des Zürcher Balletts in einem großen Kompanieballett in solcher tänzerischen Pointenfülle präsentiert, dass man aus dem Schmunzeln gar nicht mehr herauskommt. Ein „Don Q“ und „Prime Time“ in einer Spielzeit: das soll dem Spoerli einer seiner Kollegen erst einmal nachmachen!

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern