Pina Bauschs neues Stück

Mehr als eine Show mit einem Hauch Indien

Wuppertal, 22/05/2007

Wie üblich hatte Pina Bauschs neues „Stück“ bei der Uraufführung noch keinen Titel. Wie üblich wurden die Tanztheater-Ikone und die 18 Tänzerinnen und Tänzer aus fast ebenso vielen Nationen vom Publikum im ausverkauften Wuppertaler Schauspielhaus mit minutenlangen Ovationen gefeiert. Aber hinter dem Jubel verbargen viele wohl doch verhaltene Enttäuschung. Denn das Feuerwerk furioser tänzerischer Brillanz in den Solos früherer Stücke, der Biss und die Dynamik fehlen. Einen Höhepunkt bietet allerdings das Solo von Shantala Shivalingappa als kostbarer Solitär in dieser „Show“ nach vertrautem Muster vieler neuerer Tanz-Kreationen, die als Co-Produktionen des Tanztheaters Wuppertal mit verschiedenen Nationen seit Mitte der achtziger Jahre entstanden sind.

Thema diesmal: Indien zwischen gestern und morgen, zwischen Ost und West, zwischen uraltem Tempeltanz, rustikalem Volkstanz und Showtanz à la Bollywood. Ausgespart bleiben die Farbenpracht des Südens, das Gedränge und der Lärm auf den Straßen, die brutale Armut im Dreck und Gestank der Metropolen. Nur gelegentlich flackert Indisches auf, werden Bezüge erkennbar zu den drei Städten, in denen dieses Stück mit Unterstützung der Goethe-Institute Indiens entstand: natürlich kommt Bombay (Mumbai) mit der Projektion eines überdimensionalen Filmplakats daher. Ein Paar tanzt davor zu pseudoklassischen Klängen des Bombay Dub Orchestra eine dieser kitschigen Liebesszenen auf weitem Feld im Wind - freilich in Pina Bauschs ureigener Tanzsprache.

Popsongs etwa der englischen Gruppe „Talk Talk“ der achtziger Jahre und westliche Avantgarde-Musik etwa von Michael Gordon oder „4Hero“ sprechen für das „verwestlichte“ Delhi. Das Video einer Szene aus einem derben volkstümlichen Kathak-Tanz und die auf Vorhänge projezierten Bananen- und Teeplantagen erweisen den so ganz andersartigen weiten ländlichen Regionen des Nordens Reverenz, während Shivalingappas Solo den in Kalkutta beheimateten Odissi-Stil zitiert. Wunderbar eingefangen ist das „richtige“ Indien: das graziöse, erotische Anlegen eines Saris und das genervte Fummeln der Männer an ihren Dohtis - Röcken aus ebenso langer Baumwoll-Stoffbahn, eine sehr typische Geste, die zum Straßenbild indischer Städte und Dörfer gehört wie die mit stoischer Ruhe überall lagernden, wiederkäuenden Heiligen Kühe, als die sich die Tänzerinnen in ihren eleganten Roben (von Marion Cito) immer wieder mal mitten auf der Bühne „herablassen“.

Die Männer dagegen mutieren zu „Tempeltänzern“. Weiße Stoffbahnen fallen vom Schnürboden und markieren die Säulen dieser „Tanzhalle“, die zu allen uralten Tempelanlagen des Südens gehört. Wenn danach Shivalingappa im traditionellen Ornat einer Tempeltänzerin, in dem kleine Evelinnen auch heute noch auftreten, ein kurzes Bharatanatyam-Solo tanzt, sind die Säulen längst wieder verschwunden. Wir scheinen in eine Schüleraufführung in der Musikakademie von Madras geraten zu sein. Solche subtilen Kontraste machen das Raffinement von Pina Bauschs Tanztheater noch immer aus. Biss und Witz dieses neuen Stücks erschließen sich nicht auf den ersten Blick.

Peter Pabsts schlichtes weißes Bühnenquadrat scheint in den Zuschauerraum hinein zu schweben. Wie auf einem Präsentierteller „serviert“, spielt Bausch westliche Hektik gegen indische Gelassenheit aus. Das macht den Unterschied zu kommerziellen Tanz-Shows wie „Bharati“ oder „Bollywood“.


Link: www.pina-bausch.de

 

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