Ganz wie sein Held: auch Heinz Spoerli geht „außen herum“

„Peer Gynt“ als eine Art Tanzoper beim Zürcher Ballett

Zürich, 13/11/2007

Die jüngste abendfüllende Produktion von Heinz Spoerli für das von ihm geleitete Zürcher Ballett nimmt einige Anleihen beim Tanztheater auf. Spoerlis zweiteiliger „Peer Gynt“ benutzt, wie Pina Bausch, wenn auch auf andere Weise und zu anderem Zweck, die Sprache und hat, wie es vor allem Johann Kresnik liebt, seine Titelfigur in einen tanzenden und einen sprechenden Peer zerlegt. Der sprechende Peer – der deutsche Schauspieler Sebastian Hülk – charakterisiert sich mit einem Text des norwegischen Autors Henrik Ibsen, der den Peer Gynt in seinem fünfaktigen Versdrama im Jahre 1876 ins Leben gerufen hat, als Zwiebel: nur Häute, kein Kern. Das hat seine Konsequenzen, zumal, da Spoerli das Bild der Zwiebel zum Sinnbild nicht nur der zentralen Figur, sondern des ganzen Stücks zu erheben scheint. Den Rat, den Peer bei Ibsen vom „großen Krummen“ erhält, lässt Spoerli verbal zwar unter den Tisch fallen. Doch er selbst hält sich durchaus daran.

Wie 1989 sein Hamburger Kollege John Neumeier bei seinem „Peer Gynt“ geht auch Spoerli „außen herum“; zum Kern der Tragödie dringt er nicht vor. Wie der Rat des „großen Krummen“ werden auch andere wichtige Ibsensche Texte von Hülk nicht gesprochen, so das einleitende „Peer, du lügst“, durch das alles Folgende zur Geschichte eines Lügenbolds und Aufschneiders wird – was noch einleuchtet, weil dieser Satz nicht aus Peers Mund kommt, sondern aus dem seiner Mutter Ase. Es fehlt aber auch Peers finaler Seufzer, die Quersumme seines verfehlten Lebens: „Hier“ – nämlich bei der treuen Solveig – „war mein Königreich“. Unterschlagen haben Spoerli und seine Dramaturgen auch den nicht ganz unwichtigen Mord Peers an einem Koch während des Schiffbruchs auf der Heimreise im zweiten Teil, vermutlich, weil er ein allzu schlechtes Licht auf ihre zentrale Figur geworfen hätte.

Doch sind es nicht diese Unterschlagungen, die den Wert von Spoerlis Ballett – mit dem Aufwand von mehr als 40 Tänzern sowie Chor und Gesangssolisten als eine Art große Tanzoper in Szene gesetzt - beeinträchtigen. Während der ersten Stunde hat der (ältere) kritische Zuschauer in weiten Passagen den Eindruck, sich in die sechziger Jahre und die Aufführung eines Abendfüllers von John Cranko verirrt zu haben. Das liegt zum einen daran, dass in diesem „Peer Gynt“ wie in Crankos „Der Widerspenstigen Zähmung“ oder „Onegin“ die Pas de deux ins Auge stechen. Es hat aber auch nicht wenig mit der Musik zu tun, die Spoerli als wichtigste musikalische Inspiration benutzt: Edvard Griegs romantische Schauspielmusik, die den ersten Teil dominiert, im zweiten aber immer häufiger mit zeitgenössischen Kompositionen des Australiers Brett Dean und des Amerikaners Mark-Anthony Turnage versetzt wird.

In einem „Gegenwelten“ überschriebenen Text im Programmheft hat Spoerli verlauten lassen, diese Koppelung ermögliche es ihm, „zwei unterschiedliche Tanzstile zu benutzen“. Mit Grieg und einer eher klassischen Bewegungssprache treibt er die Handlung voran. Die nervöseren Kompositionen der Zeitgenossen dienen ihm dazu, „die Gedankenwelt Peer Gynts erlebbar zu machen, seiner Verwirrheit Ausdruck zu geben“. Das „moderne, expressive“ Idiom, das der Choreograph in diesen Seqenzen verwendet, verleihe dem Drama, so jedenfalls glaubt er, „zusätzliche Kraft“. Tatsächlich ist der erste Teil, so antiquarisch er wirkt, der bessere. Der Russe Semyon Chudin, Spoerlis tanzender Peer, fliegt durch die Szenen mit Mutter Ase (Karin Pelmont) und der treuen Solveig (Yen Han), durch die Hochzeitstänze und die Zauberwelt der Trolle, von keines Gedankens Blässe angekränkelt, nach bester Prinzenmanier, und auch wenn die Choreographie durchweg konventionell ist (und die Aha-Erlebnisse eher auf szenischen Gags beruhen wie dem mit dem dreibusigen Trollmonster), so hat sie doch Schwung und zuweilen sogar mitreißenden Drive.

Nach der Pause aber scheint dem Choreographen sacht die Phantasie auszugehen. Die marokkanischen Tänze leben – abgesehen vielleicht vom virtuosen Pas de deux Chudins mit Julie Gardette - vorwiegend von den Staubwolken, den sie auf der von Florian Etti nunmehr knöcheltief mit Sand bedeckten Bühnen verursachen, und das Kairoer Irrenhaus ist beinahe peinlich mit einer Albernheit, die Irresein als komische Nummer verkauft. Die anrührendsten Augenblicke der von Elvind Gullberg Jensen mit dem Orchester der Oper Zürich und dem Zusatzchor der Zürcher Oper kompetent musizierten und durchweg makellos getanzten Aufführung haben wenig mit Choreographie, umso mehr aber mit dramatischen Inhalten und ein wenig auch mit Inszenierung zu tun.

An allen guten Momenten aber ist Yen Hans Solveig in führender Position beteiligt. Zu Beginn fast befremdlich wirkend in dieser Rolle, entwickelt sich die schmale, zarte Chinesin mehr und mehr zum künstlerischen Schwerpunkt einer Aufführung, die – soviel darf man behaupten, ohne als (falscher) Prophet gelyncht zu werden – weder als tanzgeschichtliches Ereignis noch als Ibsen-Interpretation hohe Wellen schlagen wird.
 

Links: www.opernhaus.ch / www.spoerli.ch 

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