Vladimir Malakhov (rechts im Bild) & Corps de ballet
Vladimir Malakhov (rechts im Bild) & Corps de ballet

„Peer Gynt“ à la Malakhov

Die Zürcher Spoerli-Produktion im Staatsballett-Format

oe
Berlin, 18/11/2011

Je öfter man Spoerlis „Peer Gynt“-Produktion sieht, desto exakter erkennt man ihre Stärken und Schwächen. In Berlin tritt sie gegen die berühmte Peter-Stein-Inszenierung von Ibsens Versdrama an der Schaubühne an, die zu einer Theaterikone der siebziger Jahre wurde. Das Programmheft nennt als Ballettvorgänger die Versionen von Orlikowsky (der Wazlaw hieß – und nicht Heinz) und Pick (Günter – und nicht Walter) – und natürlich Neumeiers Hamburger Version mit Alfred Schnittke. Es gibt noch eine Menge andere, so auch von Zanella in Rom: der Stoff aus dem nordischen Mythos von dem unersättlichen Abenteurer, den es auf der Suche nach sich selbst um die Welt treibt, gehört ja zum Weltkulturerbe (auch auf der Opernbühne – siehe Werner Egk).

Der eindeutige Gewinner der Berliner, von Jean-Francois Boisnon und Chris Jensen glänzend betreuten Einstudierung, ist die Musik von Grieg und die geschickt verknüpften Kompositionen von Brett Dean und Mark-Anthony Turnage, dirigiert von Robert Reimer, mit dem Orchester, den Gesangssolisten und dem Extrachor der Deutschen Oper Berlin, und von ihnen gegenüber Zürich gleichsam ins 3-D-Format katapultiert.

Der zweite Gewinner ist der Schauspieler Sebastian Hülk in der Doppelrolle des Protagonisten. Der ist in Berlin zwar derselbe wie in Zürich, Sebastian Hülk, der in Berlin jedoch wesentlich körperpräsenter wirkt und auch an rhetorischem Glanz und Brillanz gewonnen hat. Das war eine exzellente Idee von Spoerli, die seiner Version eine zusätzliche literarische Glaubwürdigkeit sichert. Kein Gewinn für Berlin ist die Interpretation des Peer durch den Chef des Staatsballetts, Vladimir Malakhov, der ausgesprochen matt und abgeschlafft tanzt.

Wie schon in Zürich, so ist auch in Berlin der erste Teil der Vorstellung mit der Hochzeit und der Entführung der Braut und der Begegnung mit den Trollen im Reiche des Bergkönigs der dramatisch stimmigere, während der zweite Teil mit seinen sehr unterschiedlichen Situationen diese dramatische Sogkraft vermissen lässt. Geradezu überrumpelnd und berstend vor Kraft die Hochzeitsfeier mit der Entführung der Braut, fabelhaft strukturiert und wie eine Lawine anschwellend, mit besonders brillanten Männertänzen – man denkt an den Eröffnungsakt von Crankos „Onegin“ – aber hier ist Spoerli Cranko eindeutig überlegen in seiner Vielgestaltigkeit der Formen und den Varianten seiner Fantasiefolklore – und immer fabelhaft musikalisch. Und stärker persönlichkeitsgeprägt als ihre reichlich verhärmte Zürcher Kollegin ist auch Nadja Saidakova als Solveig (schon bei Spoerli in Düsseldorf) – eine starke Frau, der man die Kraft ihres jahrelangen Wartens durchaus zutraut.

Glänzend gelungen auch die animalisch-lüsternen Tänze der Trolle – ein bisschen an die Saufkumpane von Balanchines „Verlorenem Sohn“ erinnernd, aber nicht so pantomimisch chargiert wie dieser frühe Balanchine aus seiner sowjetischen Vergangenheit. Allerdings mit dem Zürcher Arman Grigoryan aus dem Horrorkabinett des Nosferatu kann Berlins Dinu Tamazlacaru nicht mithalten. Echte Konkurrentinnen sind hingegen die Zürcher Sarah-Jane Brodbeck und die Berliner Beatrice Knop als Tochter des Bergkönigs. Eine Geschmacksverirrung in Zürich wie in Berlin ist die dreibusige Transvestitenrolle der Grünen – und auch die drei Säterinnen wirken an der Spree wie an der Limmat wie von C&A Brenninkmeyer eingekleidet. Kommt der zweite Teil nach der Pause mit dem genialen Bild (Florian Etti) der Wüste von Marokko, durch die Chudin wie auch Rademaker in Zürich mit Wonne surfen, hohe Sandfontänen aufwirbeln und am liebsten den Sand bis in den Zuschauerraum versprühen würden.

Davon kann bei dem doch merklich angestrengten Malakhov in Berlin nicht die Rede sein. Mehr und mehr drängt sich mir die Frage auf, ob Malakhov auf dieser Weltentdeckungsreise nicht doch zu viel Autobiografie einbringt: die Herkunft aus dem fernen ukrainischen Provinznest Krivoy Rog, wo er vor 43 Jahren geboren wurde, und die Stationen. die er durchläuft, bis hin zu den Muslimbrüdern von Kairo (brillant wieder Ettis im Sonnenglanz funkelnde Säule mit den ägyptischen Hieroglyphen) und der Szene im Irrenhaus, wo er zum Kaiser gekrönt wird (sehr à la Bedlam in „The Rake´s Progress“). Malakhov, der Kaiser von Berlin? Weniger befreunden kann ich mich mit den Hoppeltänzen der Kolonialengländer à la „Lawrence of Arabia“. Hinreißend die Anitra von Polina Semjonova – ein bisschen wie Plissetzkaja als Herrin des Kupferbergs in Grigorowitschs „Die steinerne Blume“ – sie ist wirklich das Glanzstück der Berliner Truppe – eine Prima Assoluta.

Danach geht‘s dann häppchenweise ziemlich durcheinander mit der Seefahrt und dem Schiffsbruch (die „Fliegender Holländer“-Matrosen), blendet dann über in die bildlich wieder eindrucksvolle surrealistische Szene (ein Meisterstück der Beleuchtung von Martin Gebhardt) – dem Hin und Her mit den Einblendungen des Tods der alten Ase (in Berlin: Charlotte Butler) – ein sehr schöner Pas de trois mit Peer, Solveig und der Mutter – der in Berlin wie in Zürich unverständlichen Szene des Knopfgießers und der in Berlin ziemlich flach geratenen Profilierung des Tods (kein Vergleich mit Zürichs Vahe Martirosyan). Gleich stark in beiden Städten das finale Requiem – hier wie dort nicht recht klar, wohin bricht Peer am Schluss auf: Malakhov heimwärts nach Krivoy Rog – wo indessen keine ukrainische Solveig auf ihn wartet.

Insgesamt ist die Berliner Produktion recht ansehnlich geraten, mit elektrisierenden Männertänzen, als wenn die beiden Zürcher Einstudierer Boison und Jensen die Berliner Tänzer mit einer starken Dosis Speed gedopt hätten (leider nicht auch Malakhov). Großer, lang anhaltender Jubel des vollen Hauses (bis in den zweiten, sonst bei Ballettvorstellungen oft geschlossenen Rang).

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