Leanore Ickstadt, „Dancing Heads“

Eine Buchpräsentation mit Lecture-Demonstration von Tanz und Schule

München, 24/07/2007

Das Bayerische Staatsballett schreibt den Gedanken, dass im Tanz Schlüsselqualifikationen enthalten sind, die mit Gewinn für den Unterricht an Schulen genutzt werden könnten, groß. Dazu gehört beispielsweise, dass man den schmalen Kanal der verbalen Vermittlung erweitert und im bewegten Nebeneinander einen höheren Grad von Aufmerksamkeit füreinander entwickelt, der exemplarisch werden könnte. Gleichzeitig bekennt sich die Ballettdirektion dazu, der eigenen Kunst mit vielfältigen Sonderveranstaltungen für die Zukunft ein erweitertes Publikum zu generieren.

Deshalb floriert seit Jahren die Zusammenarbeit mit dem Tanz und Schule e. V., der am 20. Juli im Rahmen der Präsentation des neu erschienenen Buches „Dancing Heads“ zu einer Lecture/Demonstration ins Probenhaus des Staatsballetts eingeladen hatte. Zum Schauen entledigten sich nach der Begrüßung durch Dr. Katja Schneider die Interessenten ihrer Schuhe und erlebten in einem Studio, wo sonst Startänzer vor den Spiegeln arbeiten, folgendes: Im Kreis der etwa 25 auf dem Boden sitzenden Schülerinnen und Schüler der Grundschule am Amphion-Park rutscht Lehrerin Leanore umher und lässt sie laut ihre Namen sagen. Manche fremde sind dabei, die müssen buchstabiert werden, bis sie klar sind. Dann geht es los mit der Bewegung: Sobald die Musik mit ihrem fröhlichen Drive einsetzt, sollen die Kleinen rennen, und wenn sie abbricht, stehen bleiben und einfrieren in der Position, in die der Schwung sie befördert – „eine Aufgabe, die jeder von euch kann“.

Leanore mit ihren fröhlichen Kommandos läuft selbst mit den Kindern und ist ihnen, gleichwohl diese eine Respektsperson in ihr vermuten, nah. Wildes Drauflostoben unterbindet sie: „Ich will Musik hören, nicht Kinderstimmen. Hinhören!“ Die nächsten Fragen geben grundsätzliche Orientierungen: „Was hat die Musik? Rhythmus. - Was macht man mit dem Rhythmus? - Was macht man mit dem Raum? Den Raum nutzen! - Macht das mal!“ Und siehe da: Schon verrennen sich die Kleinen nicht mehr in ein Knäuel, sondern suchen sich selber, laufend und springend, weite Wege.

Nächste Sequenz: Hände kreisen. „Das kannst du auch mit der Zunge.“ So eine ungewohnte Aufgabe macht riesig Spaß. „Becken und Schultern können auch kreisen.“ Und dann kommt Schütteln. Bei Musik schütteln, und dann spannen! Nacheinander: „Füße - Arme - Hände - Beine - Gesicht - alles auf einmal, und beim Anhalten der Musik einfrieren!“, fordert die Lehrerin und spornt an durch ihr eigenes Beispiel. Gebärden, da gibt es vertrackte, da spannt mancher kleine Körper sich an, als könnt‘ dies zum Himmel ihn heben. „Stopp! Kein Monster bauen!“, heißt die auch uns Beobachter belustigende Kritik.

Nächste Sequenz: „Zeig mir eine Richtung! Wo gehst du hin?“ Hier müssen die Kleinen eine Entscheidung treffen, was nicht leicht ist. Dann lässt Leanore sie alles bewegen. „Jetzt den Po! - Den Ellenbogen! - Den kleinen Zeh!“ Und wieder eine fundamentale Frage: „Was kannst du strecken und beugen?“ Immer noch melden sich die Kinder wie in der Schule und wollen Gelenke nennen. Doch Leanore ruft: „Nicht antworten! Zeigen! Ah, ich sehe es.“

Weitere Übungen im Kreis, der erst ein Ei wird, folgen. Mehr und mehr übernehmen die Kinder die Bewegungen durch Hinsehen und Nachmachen. Schließlich sind sie vorbereitet auf eine Analyse, die an der Tafel festgehalten wird: „Woraus besteht Tanz?“ Die Antworten: Wege nach vorn, zurück und zu den Seiten. Drehungen. Springen. Gesten. Fallen. Rollen, Krabbeln, Kriechen. Als das alles auf der Tafel steht, ruft Leanore: „Probiert mal jedes!“ Sie zeigt und erklärt, dass man das alles ganz individuell verändern kann. „Du drehst dich nur wie du.“

Wie schwierig es für die Kinder ist, sich unabhängig von den Beispielen anderer für einen eigenen Weg zu entscheiden, lassen auch die letzten beiden Übungen erkennen: „Jeder zeigt jetzt einen Sprung, ich sage euch aber nicht was für einen“, und das Wählen zweier Punkte im Raum: „Springt bis zum ersten so, und von dort zum zweiten anders!“ Da sah man nur wenige Variationen, aber alle Kinder lachten und waren außer Atem voll dabei.

Leanore, das ist die amerikanische Tanzpädagogin Leanore Ickstadt, Gründerin des Studios TanzTangente in Berlin, die nach dieser Demonstration ihr Buch „Dancing Heads“ präsentierte, „Ein Hand- und Fußbuch für kreativen und zeitgenössischen Tanz mit Kindern und jungen Leuten von 4 bis 18 Jahren“, das von Heinz Ickstadt aus dem Amerikanischen übersetzt und von Katja Schneider im Tanz und Schule e. V. herausgegeben wurde. Die Publikation wurde von Tanzplan Deutschland gefördert, einer Initiative der Kulturstiftung des Bundes. Sie stellt einen Ratgeber für diejenigen dar, die auf der Basis eigener Tanzerfahrung an Schulen die Möglichkeiten des Tanzes nutzen wollen, und verrät unter anderem, wie man Bewegungsspiele präsentieren muss und die Erwartungen allmählich höher schraubt. Eine Besprechung dieses Buchs folgt später.

Zur beschriebenen Stunde fügte Leanore Ickstadt an, dass sie soeben mit Kindern aus einer Brennpunktschule gearbeitet habe, was schon schwierig sei. Zum neunten Mal haben sich diese Kinder getroffen, jeden Monat einmal. Das Wichtigste sei, dass ihnen Differenzierungen im Sehen beigebracht worden sind, und dass sie lernten, dass es für die verschiedenen Bewegungen Namen gibt. Vor einem Jahr wäre eine Anweisung wie: „Nehmt euch eine Insel!“ noch ins Leere gegangen, weil die Kinder noch keine Vorstellungen von Raum hatten. Die innerhalb dieser letzten Stunde zu beobachtenden Fortschritte wären nicht möglich gewesen, wenn nicht so viel Vorarbeit stattgefunden hätte. Diese bestand, wie Bettina Wagner-Bergelt vom Bayerischen Staatsballett, das die Räumlichkeiten zur Verfügung stellte, kurz erklärte, aus drei Aspekten: kreativer Kindertanz, klassischer Unterricht und Rumschauen im Theater, d. h. verschiedene Abteilungen kennen zu lernen wie die Schneiderei oder gar die Waffenkammer.

Zu einer Frage aus dem Publikum, wie man den Unterschied zwischen lediglich komischen Bewegungen und Tanz erkenne, antwortete Leanore Ickstadt: „Wenn die Kinder nicht nur den Anfang, sondern auch das Ende einer Bewegungssequenz finden und die Form spüren, dann haben wir es geschafft.“ Und in der Tat: Das wäre wünschenswert in jeder Lernsequenz.

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