Das Leben als Material

Michael Laub zeigt „Portrait Series Berlin” bei Tanz im August

Berlin, 22/08/2007

Zögernd tritt die junge Frau mit dem Kurzhaarschnitt vor das Publikum. Unruhig wandern ihre Augen hin und her, getrieben von einer Mischung aus Schüchternheit und dem heimlichen Genuss, sich den Blicken der anderen zu präsentieren. Sie schweigt. Unvermittelt dreht sie sich zur Seite, hebt ihr buntes T-Shirt hoch, beugt den Kopf weit nach hinten und erstarrt in einer unnatürlichen Pin-Up-Pose. Augenblicke später kehrt sie in ihre Ausgangsposition zurück und beginnt zu sprechen. Sie erzählt von ihrer halb deutschen, halb thailändischen Herkunft und reiht scheinbar unzusammenhängende Fakten aus ihrem Leben aneinander. Bereits nach wenigen Sätzen kommt die Irritation: „The first time in my life that I had a penis in my mouth, was when I was four years old.”

Sonchai Körner ist eine der neun Akteure in Michael Laubs Stück „Portrait Series Berlin”, die vor einer hochgezogenen weißen Stoffbahn Skizzen aus ihrem eigenen Leben performen, selbstgedrehte Videos zeigen, über schmerzliche Erfahrungen, peinliche Ticks und Marotten Auskunft geben und sich dabei scheinbar ein Stück weit vor den Zuschauern entblößen. Die Betonung liegt auf „scheinbar”, denn außer den Performern und dem Regisseur weiß an diesem Abend keiner genau, wieviel von den exhibitionistisch hervorgebrachten Geständnissen Wahrheit ist, und wieviel Fiktion.

„Portrait Series Berlin” ist das Ergebnis eines Forschungsprozesses, bei dem der Belgier Laub in Auditions nach professionellen Bühnenkünstlern oder Laien suchte, die Interesse daran hatten, das eigene Leben zum Material für eine Bühnenperformance zu machen. Obwohl die Szenen meist unverbunden nebeneinanderstehen, kristallisiert sich aus den biographischen Miniaturen schnell eine gemeinsame Thematik heraus: Immer wieder ist von dem Wunsch die Rede, jemand anders zu sein, oder von verzweifelten Versuchen, so zu werden, wie die anderen einen vielleicht haben wollen. Im Grunde feiert Laub also gruppenpsychologisch das Recht des Individuums darauf, sich selbst zu entwerfen. Dies wird umso deutlicher, als im zweiten Teil des Abends, dem Work in Progress „Marching Series part 1”, einige der Selbstportraitisten unter der Leitung der langjährigen Laub-Mitstreiter Astrid Endruweit und Greg Zuccolo in einem militärisch stampfenden Formationstanz in Badekleidung die gerade behauptete Individualität wieder verlieren.

Was an dem Stück begeistert, ist die subtile Behutsamkeit, mit denen der Regisseur und Choreograf seinen Schützlingen bei der Selbstinszenierung hilft. Keiner der Neun – weder die pummelige Performance-Künstlerin, die die Welt mit ihrem nackten Körper erforscht, noch der leicht neurotisch wirkende Theaterwissenschaftsstudent - wirkt bei seinem Auftritt schutzlos oder gar lächerlich. Jeder einzelne bewahrt seine eigene Würde und eine totale Kontrolle über das nach Außen abgegebene Bild – egal, ob nun unterhaltsame Anekdoten präsentiert werden oder himmelschreiende Banalitäten.

Unwillkürlich muss man bei diesem Verfahren an Laubs Landsmann Alain Platel denken, der seine Produktionen stets aus den persönlichen Biographien, Träumen und Traumata seiner Tänzer entwickelt – ohne dabei jemals in den Kitsch oder in die Sozialpornographie abzurutschen. Während Platels Akteure jedoch oft von den Rändern der Gesellschaft stammen, handelt es sich bei Laubs Casting-Auswahl ausschließlich um gebildete, künstlerisch interessierte Individuen, wie man sie vermehrt im Berliner Bezirk Mitte anzutreffen pflegt.

So haben auch die Geständnisse der Bühnengestalten etwas von den Smalltalks auf einschlägigen Partys, bei denen man versucht, sein Gegenüber durch eine möglichst originelle Präsentation der eigenen Person zu beeindrucken. Damit ist das große Manko des Stückes bereits benannt: Alle Bühnengestalten kommen einem bereits so seltsam vertraut vor, dass man gar kein echtes Interesse an ihren persönlichen Geheimnissen zu entwickeln vermag. Und ohne ein Minimum an Voyeurismus von Seiten des Publikums fehlt Laubs Arbeit eine entscheidende Komponente. Vielleicht sollte der Regisseur über eine etwas heterogenere Besetzung nachdenken...

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