Stürmischer Saisonbeginn an der Pariser Oper

Kader Belarbis „Wuthering Heights“ im Palais Garnier

Paris, 27/09/2007

Nach dem Erfolg der letzten Wiederaufnahme im Jahr 2005 setzte die Direktion des Balletts der Pariser Oper für die Eröffnung der Spielzeit 2007/2008 auf eines der jüngsten hauseigenen abendfüllenden Handlungsballette, Kader Belarbis „Wuthering Heights“ (deutsch: „Sturmhöhen“). Eine verdiente Ehre: bei dem im Jahr 2002 uraufgeführten Werk des Danseur Etoile Belarbi handelt es sich mit Sicherheit um eine der interessantesten Kreationen, die in Paris in den letzten Jahren zu sehen waren.

Der besondere Reiz des Stückes liegt im meistens gelungenen Zusammenspiel seiner Elemente: so evoziert beispielsweise zu Beginn des Stücks alles vom lautmalerischen Titel (der in dieser Hinsicht dem französischen Titel der Uraufführung, „Hurlevent“, vorzuziehen ist) über Peter Pabsts Bühnenbild (ein vom Sturm verbogener, dürrer Baum) bis zur meist bedrohlichen, an schottischen Klängen reichen Originalmusik von Philippe Hersant die raue, ungezähmte Gewalt der Natur. Diese prägt auch die Geschichte des Hauptpaares und liegt den schauerlichen Effekten in Emily Brontës 1847 entstandenem „gothic novel“ („Schauerroman“) zugrunde.

Kader Belarbi geht zwar sehr frei mit der literarischen Vorlage um, um eine überzeugende tänzerische Umarbeitung zu ermöglichen, bleibt dabei aber dem Geist des Romans weitgehend treu. Figuren und Struktur des Stückes erinnern an romantische Ballette: wie Giselle fühlt sich Catherine von Edgars Noblesse angezogen, Heathcliff ist eine Art dämonischer Hilarion. Durch diese Vereinfachung kommen die Subtilität ihrer Beziehung und die Gründe von Catherines „Verrat“ an Heathcliff kaum zum Ausdruck, doch handelt es sich hier um besonders schwierig auf einer Ballettbühne darzustellende Elemente.

Einige Schlüsselstellen der Handlung – vor allem die Begegnung von Catherine und Edgar sowie die in einem einzigen Pas de Deux abgehandelten Beziehung zwischen Isabelle und Heathcliff – werden in Mats Ek-ähnlicher Abstraktion und verwirrender Kürze dargestellt, so dass die Motivation der Figuren in diesen wichtigen Momenten oft im Dunkeln bleibt. Selbst herausragender Interpret des Albrecht sowohl in der romantischen „Giselle“ als auch in Mats Eks zeitgenössischer Version spielt Belarbi in Struktur und Bewegungsmaterial auf beide dieser Stücke an, wobei vor allem im teilweise auf Spitze getanzten und mit weißgekleideten Geistern bevölkerten zweiten Akt die romantische Tradition präsent ist.

Trotz der Veränderungen des literarischen Stoffes schuf Kader Belarbi eine in sich schlüssige Interpretation der Romanhandlung und seiner Charaktere, in der er einige Elemente mit besonderem visuellem Potential betont: so illustriert er durch Spiegeleffekte die Parallelen zwischen den Paaren Catherine-Edgar, Isabelle-Heathcliff und Cathy-Linton. Auch wird beispielsweise der Gegensatz zwischen Catherines und Heathcliffs Idyll und Edgars steifer Umgebung choreographisch und im Bühnenbild sichtbar: von der Decke fallende Frühlingsblumen charakterisieren das Spiel des jungen Paares, die lebensschwache feine Gesellschaft hingegen hält sich in geschlossenen Räumen mit gitterähnlichen Fenstern und zahlreichen Sofas auf und hüllt sich in dicke, weiche Stoffe.

Ebenfalls sehr gelungen ist der doppelte Rahmen des Stücks, der zum einen aus den ausdrucksstarken Pas de Deux zwischen Catherine und Heathcliff, zum anderen aus dem Auftritt des zur Schicksalsfigur gewandelten Dieners Joseph besteht, der am Schluss das zu Beginn des Stückes ausgelöschte Feuer wieder entzündet. Diese Verknüpfung zwischen Anfang und Ende und zwischen individuellem Schicksal und dessen höherer Bedeutung unterstreicht wirkungsvoll den Gegensatz und die Verkettung von Vergänglichkeit und Ewigkeit – die flüchtige Liebe des Anfangs wird schließlich im Tod verewigt und wird eins mit der unvergänglichen Landschaft, der sie im Wesen ähnelt.

Die Besetzung war bis auf wenige Ausnahmen die der Uraufführung: Marie-Agnès Gillot tanzte die Catherine mit ihrer üblichen Expressivität und Souveränität, wobei sie den dreifachen Wandel vom sorglosen Kind zur vornehmen Dame zur gebrochenen Frau (nach ihrem Wiedersehen mit Heathcliff) und schließlich zur schwerelosen Vision mit faszinierender Mühelosigkeit darstellt. Nicolas Le Riche tanzt ebenso mit gewohnter Perfektion und Bühnenpräsenz, doch ist seine Rolle schauspielerisch ärmer – im Gegensatz zum Roman gibt es im Ballett keine Wandlung vom leidenschaftlichen Jungen zum eleganten und unerbittlichen Rächer.

Stattdessen ist Belarbis Heathcliff ein etwas zur Brutalität neigendes, aber im Grunde naives und liebevolles Kind, das schließlich aus Schmerz über den Verlust der geliebten Spielgefährtin unerbittlich gewalttätig und grausam wird. Dementsprechend sind seine Misshandlungen – für ein visuelles Medium eine verständliche Veränderung – eher körperlich als psychologisch. Jean-Guillaume Bart zeichnet rührend und elegant das Porträt des blassen, wohlhabenden jungen Mannes. Besonders einprägsam ist seine Sterbeszene, in der er sich in bedrückender Einsamkeit in immer mehr Kleider hüllt, bevor er kraftlos auf einem ihn beinahe einkerkernden Sofa niedersinkt.

Anders als bei der Uraufführung wurde dieses Mal die Rolle von Catherines Bruder Hindley von Stéphane Bullion anstelle von Wilfried Romoli verkörpert, der Hindley noch schwächer, hilfloser und depressiver erscheinen lässt als sein Vorgänger, da ihm fast jede Aggressivität abgeht. Nolwenn Daniel ist als Edgars Schwester Isabelle um einiges blasser und zarter als Eleonora Abbagnato, wodurch sie noch mehr als unschuldiges Opfer wirkt und sich sehr gut in das Bild ihrer absterbenden Familie fügt. Die feine Gesellschaft des Stücks ist wie ein negativer Spiegel zu Heathcliffs und Catherines Leidenschaft und Vitalität. Catherines Tragödie besteht darin, dass sie plötzlich auf der falschen Seite dieses Spiegels befindet und erst dort erkennt: „I am Heathcliff“. Belarbi fand für diesen Satz des Romans ein beeindruckendes Bild: am Ende des exzellenten letzten Pas de Deux scheinen die beiden Liebenden im Tod zu verschmelzen.


Besuchte Vorstellung: 21.09.2007 Paris, Palais Garnier
Vorstellungen bis zum 06.10.2007

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern