Das Gehirn tanzt mit

IX. Symposium der Tanzmedizin unter dem Motto „Nervensache Tanz“

Basel, 27/05/2007

In Basel fand vergangenes Wochenende das IX. Symposium der Tanzmedizin statt. Unter dem Motto „Nervensache Tanz“ diskutierten Ärzte, Wissenschaftler und Tanzschaffende die Gesundheit von Tänzern. Ein umfangreiches Workshop-Programm sorgte neben den zahlreichen Vorträgen für die praktische Umsetzung der Theorie in Tanz und Bewegung.

Zur Eröffnung des Symposiums und zur Einführung in das Thema „Nervensache Tanz“ sprach der Neurowissenschaftler Thomas Götz über Berührungspunkte zwischen den Neurowissenschaften und dem Tanz. Dazu erläuterte der an der Berliner Charité tätige Psychiater und Neurologe die aktuellen Untersuchungsmethoden, die derzeit über biologische Hirnprozesse Auskunft geben. Großen Wert legte Götz während seines Beitrags immer wieder auf die Tatsache, dass diese bildgebenden Verfahren nicht die Realität der Gehirnfunktionen aufzeigen können und nur indirekte und statistische Auskünfte geben. Am Beispiel des Spiegelneuronensystems stellte er dann den Bezug zur Bewegungsforschung her. Bisher nur an Primaten und dem Menschen beschrieben, kann das Spiegelneuronensystem als ein Erklärungsmodell verstanden werden, das soziale Interaktion, Intersubjektivität und Empathie beschreibt.

Dabei handelt es sich um ein Netzwerk spezifizierter neuronaler Einheiten, deren Entstehung noch völlig unklar ist. Eine Beobachtung, von Bewegung etwa, spiegelt sich im Gehirn des Betrachters wider. Beim Spiegelneuronensystem scheint es zu einer internen Simulation von wahrgenommenen Handlungen und Handlungsabsichten zu kommen. Götzt verwies auf neuere Studien, die eine Spiegelneuronensystem-Aktivierung während der Beobachtung von Tanzbewegungen nachweisen. Eine Zunahme der Aktivierung konnte außerdem festgestellt werden, wenn die Probanden die Bewegung vorher selbst einstudiert hatten. Eine Erweiterung des eigenen Bewegungsrepertoires durch aktives Tanzen, könnte demnach zu einer verbesserten Wiederspiegelung bei der bloßen Beobachtung einer Bewegung führen.

Mit seinem Vortrag verdeutlichte Götz, wie sehr sich neurowissenschaftliche Erkenntnisse und Tanztheorie und -praxis ergänzen und gegenseitig stimulieren können. Der Neurowissenschaft gelingt auf diesem Gebiet außerdem ein Brückenschlag zwischen der Kunst und den Geisteswissenschaften zu den Naturwissenschaften.

Ein ebenfalls stark die Nerven betreffendes Thema stellte der Tanzwissenschaftler und -psychologe Thom Hecht vor. Seine Arbeit an verschiedenen Universitäten in der Schweiz, England und den USA konzentriert sich auf die emotionale Intelligenz im Balletttraining. Nach wie vor herrsche im Balletttraining ein dem 19. Jahrhundert entsprungenes Schüler-Meister-Verhältnis vor, konstatierte Hecht. Dieses am Militär orientierte Verhältnis unterwirft den Tanzschüler und verdammt zugleich seinen Körper zum Schweigen. Eine Möglichkeit, diese unkommunikative und für den Schüler nervlich belastende Situation im Ballett zu verändern, sieht Hecht in einem an der Yale Universität entwickelten Workshop-Training. „Emotionally Intelligent Ballet Training“ (EIBT) nennt sich das auf erziehungswissenschaftlichen Studien beruhende Konzept. Dabei geht es darum, Emotionen im Tanzunterricht besser wahrnehmen und verarbeiten zu können. Und besonders für negative Emotionen, konstruktive Lösungswege zu finden.

In einem speziell zu diesem Thema organisierten Arbeitskreis machte Hecht noch mal darauf aufmerksam, dass die Tanzpsychologie etwa im Vergleich zur Sportpsychologie als akademische Disziplin so gut wie nicht existiere und als Fach innerhalb der Tanzausbildung kaum gelehrt wird. Das erklärt vielleicht auch, warum sich der Meisterdiskurs im Balletttraining bis heute halten konnte. Wer die Nerven besitzt, mit der Wirbelsäule zu springen, benutzt seinen Körper richtiger, wird leichter und besitzt am Ende mehr Ausdauer und Spaß.

Die Tänzerin, Choreographin und Dozentin Annemari Autere plädierte für ein völlig anderes Balletttraining. Die unzumutbaren Anforderungen an Gelenke, Muskeln und etwa die Wirbelsäule müssen ihrer Ansicht nach revidiert werden. Besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf die Rumpfmuskeln. Sie gilt es zu erspüren und damit zu aktivieren, um ein korrektes Placement zu erreichen und zugleich die von diesen Muskelbereichen stark abhängige Qualität der Tanztechnik zu verbessern. Autere fordert auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse über die Rumpfmuskulatur im Balletttraining einen anderen Umgang mit der Stange und dem Spiegel. Anstelle der Konzentration auf das eigene Spiegelbild beim Training, sollte vielmehr ein Bewusstsein für die Vorgänge innerhalb des Körpers geschult werden. Durch Übungen mit geschlossenen Augen oder der gezielten Arbeit mit inneren Bildern von Bewegungsqualitäten sowie der Integration von Bällen zur Dehnung und Kräftigung der Rumpfmuskulatur, können Tänzer in einen Dialog mit ihrem Körper treten. Und auch Emotionen spielen dabei keine unerhebliche Rolle: Die sensorischen Rezeptoren, die den Gefühlssinn steuern, sind ebenfalls mit den Rumpfmuskeln verbunden. Wer unangestrengter und dem Körper entsprechender trainiert, hat somit auch mehr Freude am Tanz.

Versuchen Sie einmal mit geschlossenen Augen, die Zeigefinger Ihrer rechten und linken Hand vor dem Körper zusammenzuführen. Ein gutes Gelingen der Übung verdanken Sie der sogenannten Propriozeption. Sie sorgt für die Regulation der Körperhaltung, die Wahrnehmung der Gelenkpositionen sowie die Empfindung der peripheren Muskelwiderstände.

Die Kognitionswissenschaftlerin und Psychologin Corinne Jola hat sich mit diesem Teilbereich der Neurowissenschaften beschäftigt und stellte auf dem Symposium ihre neuen Forschungsergebnisse vor. Ihr und ihren Kollegen vom Institute of Cognitive Neuroscience in London gelang ein aufschlussreicher Nachweis über die Propriozeption von Tänzern. Demnach nehmen Tänzer ihren Körper nicht nur zentrierter wahr, sondern stellen sich ihn anhand von mental erzeugter Propriozeptiver Information vor. Bei einer visuellen Vorgabe innerhalb der Versuchsanordnung, zeigte sich jedoch bei den Tänzern eine Verschlechterung. Für Jola unterstützt dieser Befund die Annahme, dass sich Tänzer nicht primär auf die visuelle Information stützen. Es bleibt noch zu untersuchen, welche Aspekte des Tanztrainings zu dieser Wahrnehmungseigenschaft führen. Ähnlich wie die Studien von Annemari Autere forderte auch Jola auf, die Bedeutung des Spiegels im Tanz neu zu diskutieren.

Der Verein für Tanzmedizin in Deutschland (TaMeD) hat mit dem diesjährigen Symposium und seinem Themenschwerpunkt „Nervensache Tanz“ eine erstaunliche Fülle von Erkenntnissen zusammen getragen. Gleichzeitig lieferte die Konferenz Anregungen für neue Forschungsfelder wie etwa der Tanzpsychologie und lässt auf weitere erhellende Ergebnisse auf dem Gebiet der Neurowissenschaft und dem Tanz hoffen. Wichtige Anstöße lieferte das Treffen für die zukünftige Ausbildung von Tänzern und Pädagogen. Eine umfassende Ausbildung sollte neben dem Erlernen von Tanztechniken auch ein Instrumentarium zur Analyse von Bewegungen anbieten. Dabei müsste das Wissen um den eigenen Körper, seine Gesundheit und besonders seine Gesunderhaltung im Vordergrund stehen.

Im nächsten Jahr findet das X. Symposium der Tanzmedizin in Dresden statt. Vom 2. bis zum 4. Mai 2008 können sich Bewegungsbegeisterte erneut auf das Abenteuer Tanz und Medizin freuen.

www.tamed.de

 

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