Fotografische Liebeserklärung

Eine neue Edition dokumentiert das Schaffen von Pina Bausch

Berlin, 15/08/2007

Von blau über türkis bis grün schimmert rundum der Einband des wohl neuesten Buchs zum Werk Pina Bauschs. Verloren in der Weite der Szenerie, wie sie aus „Rough Cut“ in der Erinnerung lebt, kraxeln Menschen eine wetterleuchtende Felswand empor. Changierend wie die Farben und die Übergänge auf diesem Foto gibt sich auch das Œuvre jener Protagonistin eines wichtigen Stücks Welttheater. Guy Delahaye, Theaterfotograf von Rang, hat sie seit Anbeginn auf ihrem Weg begleitet und sich dabei künstlerisch als kongenialer Partner erwiesen. Von den 315 Seiten des in jeder Hinsicht gewichtigen Bands im leicht verlängerten A4-Format gehören allein 230 ihm. Mit offenkundig liebender Kamera hält er darauf fest, ob schwarzweiß, ob farbig, was ihm Pina Bausch in ihren Stücken an Motiven unabsichtlich zuspielt.

„Café Müller“ leitet den Fototeil ein, mit Bausch selbst als ausdrucksstarker Aktrice; wiederum klimmende Menschen vor einer Düne aus Stoff und Licht in „Der Fensterputzer“ beschließen ihn. Nicht chronologisch zeichnet der Bildteil Bauschs Produktionen nach. Die teils doppelseitigen Fotos dokumentieren in über 180 brillanten Aufnahmen mehr als 30 Stücke aus Delahayes ganz individuellem Blickwinkel, der zwar „nur“ Momente spiegelt, dennoch manches über das Dahinter erzählt – und den Betrachter neugierig macht, seine eigenen Geschichten daraus zu spinnen.

Wie viel Kraft jene zerbrechliche Frau hat, deren hagerer Körper sich auf den ersten Seiten verzweifelt aus dem fotografischen Dämmerdunkel des „Café Müller“ schält, zeigen die folgenden Aufnahmen. Motivisch sind sie zusammengestellt, korrespondieren in ihrem Bildwert und verbinden so Stücke, zwischen deren Entstehung oft Jahrzehnte liegen. Dass es immer wieder ähnliche Themen sind, denen sich Pina Bausch widmet, macht den Band auch zu einem Kaleidoskop ihrer zentralen Fragestellungen an die Welt und uns Menschen darin. In unserer Einsamkeit, Unbedingtheit, Auflehnung, voll von Schmerz, Schönheit, auch schmerzvoller Schönheit. Wunderbare Augenblicke, in denen sich Emotion Bahn bricht, Menschen handeln oder mit ihnen gehandelt wird, die Menschen in Situationen werfen, in denen sie ausgeliefert sind und sich verhalten müssen. Allein in vergänglicher Natur aus Herbstblättern, Nelken, Blütenkelchen, aus Nadelgehölz, kahlem Geäst, Nebel, Sand. Oder gedrängt inmitten anderer mit ihren Forderungen an den Einzelnen. Halb Entblößte sieht man, Menschen in der vermeintlichen Kleidung des anderen Geschlechts, immer wieder Gesichter in Großaufnahme, Duos in Solidargeste, die Schicksal multiplizierenden Reihenformationen der Bausch oder die Leiberballungen des „Frühlingsopfers“. Bilder vom Sein in dieser Welt sind es und vom Geworfen-Sein, von Partnern im Liebesversuch, vom Handstand am Riesenkaktus, vom wackligen Liegen auf kippligen Stühlen. Die Abendkleidung der Akteure täuscht nicht darüber hinweg, dass es ums Ganze geht: sich in einem bürgerlichen Umfeld behaupten müssen, oft auf absurde, groteske Weise.

Wie zutiefst menschlich all das von Bausch in den Raum inszeniert, von Delahaye aufs Bild gebannt wurde, macht die Publikation unverwechselbar. Vorangestellt sind dem Fototeil 30 Seiten Text, zur Hälfte ein Vorwort des Journalisten Jean-Marc Adolphe über Pina Bauschs Rezeption durch die französische Kritik, zur anderen Hälfte ein berührend schlichtes Rückblicks-Interview mit der Wuppertaler Tanztheater-Leiterin. Biografie, Werkverzeichnis und Bibliografie am Ende verleihen der bis zum Design ansprechenden Edition, über die fotokünstlerische Liebeserklärung an eine Choreografin und ihre vielen großartigen Darsteller hinaus, zusätzlich den Status eines Nachschlagewerks.

 

„Pina Bausch. Guy Delahaye“, Edition Braus im Wachter Verlag Heidelberg, Hardcover mit Schutzumschlag, 315 S., ca. 180 Abb., 49,90 Euro, ISBN 978-3-89904-285-6

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