Endstation Bonn

Im Abwicklungsverfahren: das Choreografische Theater des Johann Kresnik

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Bonn, 28/09/2007

Ja das waren noch Zeiten! Als ich 1953 in Bonn debütierte und im Ersatztheatersaal des Bürgervereins die erste deutsche Nachkriegs-„Giselle“ sah, arrangiert von Boris Pilato nach dem Original von Coralli und Perrot (oder was wir damals dafür hielten). Und gleich noch einmal, als dort Marcel Luipart Günter Grass‘ „Fünf Köche“ choreografierte (und später in Essen die „Stoffreste“ und in Berlin „Die Vogelscheuche“ – allesamt von Grass, woran zu erinnern so kurz vor dessen 80. Geburtstag vielleicht nicht ganz unangebracht ist). Zehn Jahre später hatte dann Lothar Höfgen in Bonn seinen entscheidenden Durchbruch als Choreograf mit Pendereckis „Polymorphia“. Und 1970, als Frederick Ashton im schicken neuen Stadttheater zu Beethovens 200. Geburtstag mit dem Royal Ballet seine eigens aus diesem Anlass kreierten „Geschöpfe des Prometheus“ herausbrachte.

In den siebziger Jahren war es dann Fred Traguth, der allsommerlich zu seiner ITW (Internationalen Tanzwerkstatt Bonn) einlud, für die sogar die UNESCO die Schirmherrschaft übernommen hatte. Und wir in der jungen Galerie Wünsche unsere ersten Begegnungen mit Bob Wilson und Andy Warhol hatten (alles Events, die irgendwie mit dem Tanz zu tun hatten – und hinterher gab‘s dann immer diese tollen Partys!). Als dann der Chilene Ottavio Cintolesi als Ballettchef nach Bonn kam und wiederholt die Dänen einlud, glaubten wir wahrlich daran, dass Bonn die kontinentale Residenz Bournonvilles werden könnte. Und das ging so bis zu Pavel Mikulastik und seinem Choreografischen Theater in den Neunzigern. So war Bonn immer für eine tänzerische Überraschung gut.

Und dafür sorgte dann anfangs unseren Jahrhunderts auch Johann Kresnik. Der hatte als Tänzer in Köln in den sechziger Jahren für Aufsehen gesorgt und dort auch seine ersten choreografischen Versuche präsentiert. Die brachten ihm ein Engagement als Ballettchef nach Bremen ein, wo er mit seinen Agitprop-Balletten Furore machte (u.a. „Kriegsanleitung für jedermann“ und „Schwanensee AG“), gefolgt von seinen Kreationen in Heidelberg und als Gast in der halben Welt mit dem Markenzeichen seines Choreografischen Theaters. Danach übersiedelte er an die Berliner Volksbühne, operierte dort aber schon mit leicht gebremsten Elan. Und dann also Bonn, wo der neue Intendant sich vorgenommen hatte, seine braven bürgerlichen Abonnenten mal so richtig aufzumischen. Das gelang ihm auch so perfekt, dass das Publikum in Scharen das Weite suchte. Zu neuen Sparauflagen verdonnert, kriegte er es schließlich mit der Angst zu tun und leitete die Liquidation ein, bestärkt offenbar von der nordrhein-westfälischen Kulturbehörde, die – wieder einmal – von einer Fusion der drei Kompanien von Düsseldorf, Köln und Bonn träumte – ein Albtraum, der sich inzwischen ins Nichts aufgelöst hat.

Das in seinen letzten Zügen liegende Choreografische Theater Johann Kresnik wurde indessen ins Altenheim der Bonner Bühnen auf der anderen Seite des Rheins, in den Alten Malersaal der Halle Beuel, verbannt. Dort präsentierte die als choreografische Notärztin herbeigerufene Susanne Linke ihre Fünfzig-Minuten-Produktion „Still here? Still here! It‘s Wonderful!“ – ein Titel, den man je nach Gusto als Aufschrei kurz vor dem Verenden oder als ironischen Kommentar zur derzeitigen Befindlichkeit interpretieren kann – wie übrigens auch den chorisch deklamierten Slogan „BMW“ nicht etwa als Sponsorenappell in Richtung München, sondern als „Ballett muss weg“ oder als Anspielung auf den Bonner Intendanten Klaus Weise als „Bonn macht weise“. Und so hatte sich denn ein schütteres Publikumshäuflein für die dritte Vorstellung von Susanne Linkes Tanzszenen in der Banlieue von Bonn, auf der falsche Seite von Bonn, der „scheel Sick“, eingefunden, das am Schluss den zwölf Tänzern donnernden, trampelnden Applaus spendete – eine Solidaritätsaktion im Zeichen des „Lasst Euch nicht unterkriegen!“

Und die hatten sich ja auch toll hineingestürzt in die Linkeschen Explosiv-Motionen, wenn sie nicht gerade am ganzen Körper zitterten, sich auf dem Boden reptilienhaft bewegten oder am Tisch saßen und ihre Rubbelspiele praktizierten. Und eine von ihnen taktierte wildfuchtelnd mit ihrem Dolch, wenn sie nicht gerade wie eine aufgeblasene Ballerina herumwieselte. Zwischendurch deklamierten sie auch Texte, etwa von Ingeborg Bachmann aus dem Henzeschen „Idioten“, von Elfriede Jelinek und anderen. Den schönsten allerdings hatte sich die Dramaturgin fürs Programmheft aufgehoben: „Wo das Denken in einer von Spannungen gesättigten Konstellation plötzlich einhält, da erteilt es derselben einen Chock, durch den es sich als Monade kristallisiert.“ Ob sie das wohl selbst verstanden hat? Traurig, traurig! Und die erste Nominierung für die Bilanz der gerade begonnenen Spielzeit in der Kategorie: Überflüssigste und ärgerlichste Produktion der Saison!

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