Eine perfekte „Kameliendame“ – tänzerisch und musikalisch

Alessandra Ferri beendet ihre tänzerische Laufbahn

Hamburg, 11/07/2007

Seit ihrer Uraufführung in Stuttgart 1978 mit Marcia Haydée habe ich John Neumeiers „Kameliendame“ unzählige Male gesehen und in vielen verschiedenen Besetzungen. Aber noch nie erschien mir eine Vorstellung dermaßen stimmig bis ins letzte Detail wie jetzt bei den Hamburger Ballett-Tagen. Was Alessandra Ferri in der Titelrolle da auf die Bühne zaubert, verschlägt einem dem Atem. Nicht nur, dass sie sämtliche Schattierungen dieser tragischen Persönlichkeit in allen Höhen und Tiefen auszuloten vermag, wie es sonst in dieser Vielschichtigkeit und Dichte nur die Haydée zustande brachte (bei allem Respekt für viele wunderbare Solistinnen in dieser schwierigen Rolle). Aber anders als Marcia Haydée entzündet Ferri zusätzlich ein Feuerwerk an technischer Brillanz und vor allem von einer mühelosen Dynamik, wie es in dieser Perfektion bisher kaum zu sehen war. Hier wird bis in die Fingerspitzen erkennbar, wie ausgefeilt bis ins letzte Detail diese Rolle choreographiert ist.

Häufig gibt es bei der „Kameliendame“ ein Entweder – Oder: entweder wird die Rolle technisch untadelig getanzt oder eben darstellerisch überzeugend. Aber beides zusammen? Schwierig. Kaum vorstellbar. Alessandra Ferri zeigt, dass es geht. Und wie sie es zeigt! In glückseligmachender, bravouröser tänzerischer Vollendung. Wer für eine der beiden Vorstellungen am 10. und 11. Juli Karten ergattern konnte, darf sich glücklich schätzen – denn Alessandra Ferri, 44 Jahre alt, beendet danach endgültig ihre tänzerische Laufbahn – bereits am 31. März hatte sie in dieser Rolle an der Mailänder Scala ihren Bühnenabschied gegeben. Was für ein Verlust! Roberto Bolle (Etoile der Mailänder Scala) als Armand war ihr durchaus ebenbürtig – groß gewachsen, ein wunderbar viriler und dennoch verletzlicher Mann, der Alessandra Ferri in jedem Moment ein absolut zuverlässiger Partner war und seine Liebe, aber auch seine Verzweiflung und Trostlosigkeit glaubwürdig zu vermitteln vermochte.

Komplett fehlbesetzt war jedoch Manon Lescaut. Mit gekünstelt zickig-zackiger Allüre gibt Isabelle Ciaravola von der Pariser Oper die Manon als eiskaltes, diabolisches Luder, technisch zwar untadelig getanzt, aber ohne jede Ausstrahlung oder innere Beteiligung. Das ist nicht die Schwester im Geiste, die Seelenverwandte der Marguerite, die Neumeier mit diesem Theater im Theater auf die Bühne bringt. Und man vermisst schmerzlich die mühelose Transparenz einer Silvia Azzoni oder die zurückhaltende Tragik einer Lynne Charles (lang, lang ist’s her). Auch Christophe Duquenne (ebenfalls Pariser Oper) als Des Grieux bleibt eher blass und farblos. Enttäuschend auch Michael Denard als Monsieur Duval, Armands Vater. Wo ein Victor Hughes, ein Eduardo Bertini den um den Sohn besorgten Vater zeichnen, den Gentleman alter französischer Schule, und dann auch die Liebe dieses reifen Mannes zu der schönen Frau, die ihm in der Aufopferung ihrer Liebe zu seinem Sohn allen Respekt abverlangt, glaubhaft machen, gibt Michael Denard den Monsieur Duval eher als herrischen, schmierigen Angeber. Wie schade.

An dieser Stelle sei auch einmal eine Rolle und ihre Darstellerin gewürdigt, die sonst kaum Erwähnung finden: Nanina, Marguerites Zofe, in der Interpretation von Susanne Menck. Sie verleiht dieser Kammerfrau eine kostbare Würde, sie ist eine besorgte Dienerin ihrer Herrin, ohne je servil zu erscheinen, aber auch Mittlerin zwischen den Welten. Und von wunderbar komischer Unbeholfenheit bei den ausgelassenen Tänzen mit der Gesellschaft auf dem Lande im 2. Akt. Susanne Menck, im Hauptberuf Choreologin der Hamburger Kompanie, geht mit dem Ende dieser Spielzeit in Pension. Es bleibt zu hoffen und zu wünschen, dass sie dennoch als Nanina immer wieder auf die Bühne zurückkehrt.

Neben den tänzerischen Highlights dieses Gastspiels im Rahmen der Ballett-Tage gab es aber auch ein musikalisches zu bewundern: der italienische Pianist Roberto Cominati am Flügel bewies, dass man – anders als Volker Banfield, der diesen Part in Hamburg normalerweise ausführt – Chopin wunderbar einfühlsam und dem Geschehen auf der Bühne angepasst spielen kann. Das atmete endlich einmal Poesie! Da stellte ein Pianist seine technische Virtuosität in den Dienst des Ausdrucks, der Interpretation. Da ging es nicht um die Selbstdarstellung, sondern um Musik, die zusammen mit dem Tanz auf der Bühne ein Gesamtkunstwerk zustande bringt. Diese Gemeinsamkeit im Bemühen um das Ganze findet sich leider viel zu selten. Die Hamburger Philharmoniker unter der souveränen Leitung von André Presser fügten sich nahtlos und klangvoll in dieses Geschehen.

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