„Meine Arbeit ist absolut nicht politisch”

Ein Interview mit dem Choreografen Hofesh Shechter

Berlin, 15/06/2007

Obwohl er erst seit fünf Jahren in der englischen Hauptstadt lebt, gilt der junge Israeli Hofesh Shechter als „shooting star” unter den Londoner Choreografen, dem es gelingt, Anspruch und kommerziellen Erfolg miteinander zu verbinden. Nachdem er seine Stücke auf allen wichtigen Bühnen Englands – von The Place über die Queen Elizabeth Hall bis hin zu Sadler’s Wells gezeigt hat, kommt er nun in diesem Sommer auch nach Deutschland. Mit tanznetz.de sprach der ehemalige Batsheva-Tänzer über Langeweile in zeitgenössischen Choreografien, die britische Tanzszene und seine künstlerischen Wurzeln in Israel.


Frank Weigand: Sie zeigen Ende Juni Ihre Trilogie „deGeneration” zum ersten Mal in Deutschland. Welches Thema verbindet die drei Stücke? 

Hofesh Shechter: In „Cult”, dem ersten Stück, geht es um Besessenheit, um Leute, die mit aller Gewalt etwas erreichen wollen – von dem weder wir noch sie selbst genau wissen, was es ist. In dem zweiten Stück, „Fragments”, erleben wir zwei Menschen, die von der Komplexität der Welt um sich herum erdrückt werden und die lernen müssen, ihren eigenen Weg zu finden. Der letzte Teil „Uprising” ist ein Gruppenstück für sieben Männer über die Energie eines Aufstandes, die Kraft, die freigesetzt wird, wenn sich jemand gegen eine bestehende Ordnung erhebt.
Als ich nach einem Titel für den Abend suchte, wurde mir plötzlich die Gemeinsamkeit der drei Stücke klar: Immer geht es um den kleinen Mann und seinen Konflikt mit der großen Welt um ihn herum. Für sich genommen hat jedes Stück eine starke positive Energie, aber im Zusammenhang mit den anderen ergibt sich eine düstere, fast sarkastische Atmosphäre. So kam ich auf „deGeneration”, was eigentlich ein Wortspiel zwischen „degeneration” (Verfall) und „the generation” (diese Generation) ist. Man kann den Abend also als Blick auf meine Generation verstehen.

Ihre Stücke sind sehr physisch und haben oft einen mitreißenden Rhythmus. Ist Entertainment ein wichtiger Aspekt Ihrer Arbeit? 

Wenn ich an einem Stück arbeite, versuche ich dabei, die Perspektive eines Zuschauers einzunehmen. Und da mich ein Großteil des zeitgenössischen Tanzes, den ich sehe, sehr langweilt, versuche ich festzustellen, was da fehlt. Wenn man schon zeitgenössischen Tanz machen will, sollte der wenigstens interessant und mitreißend sein. Mein Ziel ist es, die Gedanken des Publikums in Bewegung zu halten, mit abwechslungsreichen Fragestellungen oder Elementen dafür zu sorgen, dass die Leute dabeibleiben.

Sie komponieren auch die Musik zu Ihren Bühnenstücken. Wie ist das Verhältnis zwischen Klang und Bewegung? 

Ich versuche, Choreographie und Musik einander gegenseitig befruchten zu lassen. Wenn ich ein Stück mache, entwickeln sich die beiden Elemente parallel zueinander. Normalerweise fange ich völlig willkürlich mit musikalischen Entwürfen an, mit Klängen und Stimmungen. Die nehme ich dann mit ins Studio, um schon ein Gefühl dafür zu haben, welche Art Tanz dazu „geschehen” kann. 

Ist der zeitgenössische Tanz, den Sie langweilig finden, der sogenannte „Konzepttanz”, der sich oft mehr für Forschung als für den Kontakt zum Publikum interessiert? 

Ich meinte eigentlich eher eine Art von Tanz, die ausschließlich auf Bewegung aufbaut, und zwar so sehr, dass es dabei weder einen Bezugspunkt noch eine Verständnismöglichkeit für den Zuschauer gibt. Nichts als eine eineinhalb-stündige Serie von Bewegungen, die alle gleich aussehen und das Gleiche bedeuten. Da klammern sich Leute an eine bestimmte Vorstellung von Bewegung – anstatt zu versuchen, ihre eigene Bewegungssprache zu entwickeln, um damit ihre Gedanken oder Gefühle ausdrücken. „Konzepttanz” ist eine seltsame Sache. Vor kurzem war ich in Brüssel und habe dabei einige Arbeiten der Studenten von PARTS gesehen. Bei einigen Stücken war vielleicht 10 Prozent Bewegung dabei. Beim Rausgehen ging dachte ich mir: „Es ist irreführend, den Leuten zu sagen, das sei zeitgenössischer Tanz.” Ich hatte eher das Gefühl, als hätte ich gerade eine Workshop-Präsentation besucht. Für mich geht es im Tanz um Können – und dort war von tänzerischem Können nichts zu sehen. 

Wie unterscheidet sich die Tanzszene in Großbritannien von der auf dem Kontinent? 

Die Briten interessieren sich vor allem für tänzerisches Können und körperliche Virtuosität. Vielleicht mögen deshalb so viele Leute hier meine Arbeit. Leider haben sie gleichzeitig auch eine starke Neigung zu einer „Kultur der Vergangenheit”, die klassisches Ballett und Neo-Klassik sehr populär macht. Manchmal ist es unfassbar, was man da zu sehen bekommt – als befänden wir uns in den 60er- oder 70er-Jahren. Ich glaube, die Begeisterung für die eigene Vergangenheit gehört einfach zur britischen Kultur (lacht). Und das entfernt sie weit von den Künstlern auf dem Kontinent. 

Sie waren dreieinhalb Jahre lang Mitglied der – sehr physisch arbeitenden – Batsheva Company. Hat Sie das geprägt? 

Natürlich hat mich das stark beeinflusst, besonders die Begegnung mit Ohad Naharin. Ich kam mit 18 Jahren in die Company. Alle Grundsteine zu meiner Entwicklung als Tänzer und Choreograph wurden in dieser Zeit gelegt. Es hat für mich keinen Sinn, gegen diesen Einfluss zu kämpfen. Ich habe dort eine bestimmte Sprache gelernt – und das ist die Sprache, die ich benutze, um meine Gefühle auszudrücken. Natürlich wird sie sich im Lauf der Jahre verändern, und meine Fähigkeit, mit ihr umzugehen, wird sich weiterentwickeln. Dennoch bleibt es meine Sprache. So wie Hebräisch meine Muttersprache ist, ist das meine „Tanz-Muttersprache”. 

Wie ist es für Sie als Israeli, zum ersten Mal in Deutschland aufzutreten? 

Ich habe auch einen deutschen Pass. Der Gedanke, das Land zu besuchen, macht mich in keiner Weise sentimental. Ich sehe keine Verbindung zwischen dem Deutschland von heute, und dem was dort vor 75 Jahren passiert ist. Ich mag es nicht, wenn man Menschen nach Ländern einteilt. Auch in meiner Arbeit – die absolut nicht politisch ist – versuche ich, den Menschen als eine Art Einheit zu sehen, die Gefühle hat, eine Physikalität und eine Chemie – wie eine wundervoll komplexe Maschine. Ich finde es viel interessanter, die Ereignisse in Deutschland als Beispiele für das Wesen des Menschen zu betrachten, dafür, unter welchen Umständen solche Dinge geschehen können. Aber für mich hängen sie nicht mit einer Nation zusammen.


Termine: 27.6. Ludwigsburger Schlossfestspiele www.schlossfestspiele.de, 
29./30. 6. Mousonturm Frankfurt www.mousonturm.de,
weitere Deutschland-Gastspiele (bei Tanz Theater International Hannover und im Düsseldorfer tanzhaus nrw) sind in Planung

www.hofesh.co.uk

 

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