Dresdner Weihnachtsspitzen

Das SemperOper Ballett gastiert mit „Dreamlands“

oe
Heilbronn, 22/11/2007

Äußerst riskant, auf was sich die Heilbronner Einkäufer für ihre jährliche Ballett-Stagione diesmal eingelassen haben: ein vierteiliges Programm, Monate vor dessen Dresdner Premiere. Und noch dazu von einer Kompanie, die gerade erst in der zweiten Spielzeit ihr Profil zu finden versucht. Aber dann gehört ihr Chef Aaron S. Watkin zu den Kanadiern, die hierzulande zur Eroberung unserer Tanzszene angetreten sind – siehe Reid Anderson in Stuttgart, siehe Paul Chalmer in Leipzig, siehe Jason Beechey an der Palucca-Schule. Watkin gehört zur Forsythe-Familie. Und einen Forsythe stellte er als Visitenkarte an den Anfang seines Programms, mit dem das SemperOper Ballett noch bis übermorgen in Heilbronn gastiert: „The Second Detail“, das Forsythe 1991 für das National Ballet of Canada in Toronto schuf. Es ist das erste größere auswärtige Gastspiel der Dresdner Kompanie unter der neuen Leitung überhaupt – und die Stimmung unter den Tänzern ist ungefähr so wie beim ersten Auslandsgastspiel der Stuttgarter 1963 in Edinburgh. Die Stimmung der Heilbronner aber hätte nicht enthusiastischer sein können als nach diesem Forsythe (und die Heilbronner haben in den letzten Jahren ja einige der interessantesten Kompanien zu sehen bekommen – von Hubbard über Petit bis zu Baryschnikow).

Kein Wunder, denn dieses „Second Detail“ überrennt in seiner Rasanz das Publikum, schießt mit seiner zielgenauen Spitzentechnik direkt in dessen Herz: statt Dresdner Christstollen also Dresdner Christspitzen. Das Ballett ist ein kleines Wunder, denn es wirkt total chaotisch und rollt doch in einer knappen halben Stunde in einer Präzision ab, die staunen macht und danach fragen lässt, wieso es bei diesem Tempo und diesen ständigen Überschneidungen nicht laufend zu Zusammenstößen kommt. Und schaltet blitzartig aus den ungeheuerlichsten technischen Virtuositätskomplikationen um in die coolste Gelassenheit, mit der die Tänzer an der Rampe entlang schlendern und flapsig ins Auditorium grinsen.

David Dawson, englischer Hauschoreograf der Dresdner, erkundet nach seinen Lehrjahren beim holländischen Nationalballett) in seinem Pas de cinq „The Grey Area“ – geradezu ein Sedativ nach dem „Second Detail“ – offenbar das Zwischenreich, den Übergang vom Leben zum Tod, in dem die wunderbar flexiblen Körper der Tänzerinnen Schutz suchen in den Armen und sanften Hebungen der Männer. Man ist danach doppelt gespannt auf seine noch für diese Spielzeit angekündigte neue „Giselle“. Pascal Touzeau ist Franzose, hat für das Stuttgarter Ballett seinerzeit – nicht sonderlich erinnerungsträchtig – Mozarts „Jupiter Sinfonie“ choreografiert, dann auch bei Forsythe weitere Erfahrungen gesammelt und ist am Heilbronner Programm mit „No Thumb“ vertreten – zu einem chorischen „Dona nobis pacem“ des lettischen Komponisten Peteris Vaskis, das musikalisch stärker fesselt als die doch arg zusammengepuzzelt wirkende Choreografie. Dann ist da noch beteiligt der Schwede Johan Inger, Leiter des Cullberg Balletts, den wir zuletzt in Ludwigsburg erlebt haben, in seinem „Empty House“ sichtlich geprägt von den Erfahrungen seiner Jahre als Tänzer in Jiří Kyliáns Nederlands Dans Theater.

Eine ausgesprochen informative Kritik über dieses Programm von Volkmar Draeger findet man übrigens auch bei tanznetz.de. Bedenkt man, dass die Dresdner ja auch „Dornröschen“ (Watkin), „Nussknacker“ (Neumeier) und „Widerspenstige“ (Cranko), weiterhin Choreografien von Fokine, Balanchine und Kylián im Repertoire haben, scheint die Richtung, die die neue Ballettdirektion der Semperoper – nach Jahren künstlerischer Stagnation unter der früheren Leitung – eingeschlagen hat, die Zukunft für sich zu haben. Die Heilbronner hätten jedenfalls sicher nichts dagegen, das Dresden SemperOper Ballett erneut bei sich willkommen zu heißen.

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