Die Invasion der Luftgeister

Jörg Mannes' „Der Sturm“, uraufgeführt vom Bayerischen Staatsballett

oe
München, 08/12/2007

Ein tolles Stück, „Der Sturm“, Ballett in zwei Akten von Jörg Mannes nach William Shakespeare. Zumindest im Programmheft des Bayerischen Staatsballetts anlässlich der Münchner Uraufführung im Nationaltheater. Damit meine ich nicht oe‘s viel zu langen, sich auf die Forschungen anderer Kollegen stützenden Artikel „Shakespeare und das Ballett“. Und auch nicht Sophie Beckers „Zaubern mit Bruckner“, der die eher fragwürdige Musikklitterung dieser Produktion aus Bruckner, Sibelius und Tschaikowsky zu rechtfertigen versucht. Und ebenso wenig Hildegard Hammerschmidt-Hummels Beitrag über die oft gestellte, nie befriedigend beantwortete Frage „Wer war William Shakespeare?“ Wohl aber K. P. Fürsts brillanten Essay „Von Zauberern und Menschen“ mit seiner tiefgründigen Analyse dieses späten Shakespeare-Stücks.

Ach, wenn ihn Jörg Mannes doch vor der Einstudierung dieses zweieinhalbstündigen Großprojekts gelesen hätte! So aber sehen wir uns mit einem aufwändigen Ballettabendfüller konfrontiert, der schöne Bilder (auf der leer geräumten Bühne von Tina Kitzing) bietet, schöne Musik (leider in unproportionierter Dosierung, aber blendend gespielt vom Bayerischen Staatsorchester unter der Leitung des ballettversierten David Robert Coleman), schöne Menschen, topfit gestählt, und viele schöne Tanzerei (besonders in den ausufernden Pas de deux, aber auch in zwei aufregend eskalierenden Massenagglomerationen), der es aber entschieden an theatralischer Schubkraft fehlt. Das liegt an dem eigenartigen Patchwork-Charakter der anonymen Dramaturgie, die die einzelnen Szenen isoliert aneinanderreiht: Auftritt – Abgang, dazwischen viel Getanze, aber es entwickelt sich nichts. Nichts auf der Bühne jedenfalls. Nichts von dem, was Fürst so liebevoll in seiner Schilderung der Charaktere und ihrer Handlungen analysiert.

So aber bleiben die Personen lediglich Chiffren: Prospero, der zaubermächtige Herr der Insel, der androgyne Luftgeist Ariel, der hier vervielfacht zu einem ganzen Heer auftritt, Caliban, die missgestaltete Kreatur, das Liebespaar Miranda und Ferdinand, die bösen und intriganten Verwandten. Und so darf Alen Bottaini ein durchaus imponierender Marathon-Mann sein, doch vom Wandel eines zornigen Rächers zu einem alles verzeihenden Humanisten kann nicht die Rede sein. Eine glatte Fehlbesetzung, leider, leider, ist Lucia Lacarra als Ariel, fabelhaft anzusehen mit ihren langen, wie ein Radargerät den Himmel absuchenden Beinen und ihrem eigenartigen schleierartigen Schwanz (wie ihr ganzes Gefolge – Kostüme: Lenka Radecky-Kupfer), wirkt sie wie die Leiterin der Tanzakademie auf Prosperos Insel (und sollte doch eher ein Geschöpf aus Puckschem Geiste sein).

Wirklich lustig sind dagegen die beiden Scherzbolde Trinculo und Stefano, als die Olivier Vercoutère und Filip Janda wie Shakespeares Zwillinge von Ephesos (aus der „Komödie der Irrungen“) herumtollen. Sehr lieb sind die beiden Jungverliebten, Miranda und Ferdinand, Séverine Ferrolier und der auch hier wieder lupenrein konditionierte Lukas Slavicky. Die sonstige Entourage ist lediglich durch ihre Kostüme und ihre Bodies zu unterscheiden – so muss der lange Lulatsch wohl Marlon Dino als König von Neapel sein und der heimtückische Tigran Mikayelyan (wäre der nicht ein viel luftigerer Ariel gewesen?) als unrechtmäßiger Herzog von Mailand. Ach ja – und nicht zu vergessen und schon gar nicht zu übersehen der Caliban von Wlademir Faccioni – wie er herumschleicht und wieselt, scheint er geradewegs von einem Training als Nahkampfterrorist aus dem Camp der Taliban zu kommen.

Ganz interessant auch, wie die Münchner Theater in dieser Spielzeit offenbar Derby-Heimspiele bevorzugen. Neulich also Tschaikowskys „Eugen Onegin“ contra Crankos „Onegin“. Und nun also „Der Sturm“ vom Ballett im Nationaltheater und als Drama von Shakespeare gegenüber, auf der anderen Straßenseite, in den Kammerspielen. Doch gab es bei der Tschaikowsky-Cranko-Konfrontation einen eindeutigen Sieg für das Ballett, so bin ich mir diesmal nicht so sicher, ob das Ballett wiederum bei einem Vergleich mit dem Schauspiel als Sieger hervorgehen würde.

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