Alen Bottaini tanzt den Prospero im „Sturm“

Ein Gespräch mit Malve Gradinger vor der Premiere beim Bayerischen Staatsballett

München, 05/12/2007

Theater und Tanz einmal in freundlichem Wettstreit, das könnte interessant werden. Nachdem die Münchner Kammerspiele gerade Shakespeares letztes Werk, das kompliziert tiefsinnige Märchendrama „Der Sturm“ (1613) herausgebracht haben, folgt jetzt auf der anderen Straßenseite das Staatsballett mit einer „Sturm“-Uraufführung von Hannovers Tanzchef Jörg Mannes (zu Musik von Bruckner, Sibelius und Tschaikowsky). Den zaubermächtigen Prospero, der die stürmischen Winde entfacht, tanzt der erste Solist Alen Bottaini.

Das Gespräch eröffnet der Italiener Alen Bottaini mit einem Strahlen übers ganze Gesicht: „Ich habe zwar fast alles getanzt, abstrakte Partien, den Romeo, Albrecht, Siegfried, Florimund, jetzt den Korsar Konrad... aber der Prospero ist die e r s t e Rolle in einem neu kreierten Handlungsballett.“ Eine schöne Herausforderung für Bottaini, der 1993, noch ganz jugendliches Kraftpaket mit letztem Schliff von der renommierten St. Petersburger Waganowa-Akademie, ins Staatsballett hereinwirbelte und sich bald vom Virtuoso-Tänzer zum profilierten Darsteller, zum Künstler entwickelte. Und Prospero, dieser vom Bruder aus seinem Herzogtum Mailand verjagte, auf eine Insel verbannte Magier, wie sieht er ihn? „Er ist ein sehr starker Mensch, ein fairer Charakter. Sicher, zunächst sinnt er auf Vergeltung. Das ist doch verständlich. Alle um ihn herum wollen ihn beseitigen. Aber am Ende reagiert er eben nicht auf die Mafia-Art: Mord für Mord, Blut für Blut, sondern verzeiht.“

Und die Proben mit dem gebürtigen Wiener Jörg Mannes? „Mit mir spricht er meistens italienisch. Da habe ich mich gleich zu Hause gefühlt. Aber er ist wirklich auch so ein wunderbarer Mensch, da will man einfach alles geben. Er könnte mich zwanzig Minuten auf den Kopf stellen, ich würde es für ihn tun.“ Was auch heißt: für die Rolle tun. Denn bis in den Bühnenhimmel federnde Brio-Technik, mit der Alen Bottaini stolze Wettbewerbe gewann und das Publikum euphorisierte, interessiert ihn nicht mehr. „Das hat auch mit meiner persönlichen Entwicklung zu tun ... Verletzungen, die mich sehr verändert haben“, spielt Bottaini auf seine achtjährige, kurz vor der bereits angesetzten Hochzeit zu Bruch gegangene Beziehung an. Er sei in dieser Zeit auf die Bühne, habe aber vor seelischem Schmerz seine Beine, seinen ganzen Körper überhaupt nicht mehr gespürt. Wollte sogar aufhören zu tanzen. Ballettchef Ivan Liška und Freunde im Ensemble hätten ihm sehr geholfen, sich wieder zu fangen.

„Erst viel später konnte ich nachdenken, auch einsehen, dass ich vielleicht Fehler gemacht, meine Freundin vernachlässigt habe, weil ich zu sehr aufs Tanzen fixiert war. Und was man privat erlebt, spiegelt sich natürlich auch auf der Bühne... Wenn du 19 bist und hast noch nie geliebt, kannst du sicherlich dieses Gefühl auf der Bühne ‚abbilden’. Der Armand in Neumeiers ‚Kameliendame’ zum Beispiel hat in mir sehr früh das Bewusstsein geweckt, dass da neben Fünffach-Pirouette und Cabriole noch was anderes ist. Besonders mit Maria Eichwald als Partnerin war das schon ein Initiations-Erlebnis fürs Darstellen. Aber erst nach dieser bitteren Erfahrung habe ich die Rolle des Armand voll erfasst, konnte sie darstellerisch auf einem ganz anderen Niveau tanzen.“

Trotz allem möchte Bottaini irgendwann eine Familie gründen. „ Aber nicht wieder dieselben Fehler machen, für Frau und die Kinder dann auch wirklich Zeit haben. Ich habe von meinen Eltern viel Liebe und Aufmerksamkeit bekommen. Egal welche Sportart mir gerade gefiel, ich durfte alles ausprobieren.“ Und erst als der kleine Alen selbst willens war, stellte seine Mutter ihn in ihrer Ballettschule an die Stange, ermöglichte ihm dann das Studium an der Londoner Royal Ballet School. In der Welt des Balletts will Bottaini auch nach der aktiven Karriere bleiben: „Als Ballettmeister wahrscheinlich. Heute sind die Tänzer so exzellent ausgebildet, machen technisch die tollsten Sachen. Aber weiter zu lernen, von den älteren Tänzern zum Beispiel, dafür haben sie oft keinen Sinn. Ich weiß noch, wie ich jede Bewegung, jedes Wort von Solisten wie Elena Pankowa und Kirill Melnikow (jetzt Professor an der Münchner Ballett-Akademie/Heinz-Bosl-Stiftung, die Red.) buchstäblich aufgesogen habe. Und aus eigener Erfahrung weiß ich: man hört eine Korrektur fünf, zehn Mal, aber erst beim elften Mal macht es Klick, weil derjenige es dann auf eine Weise gesagt hat, die genau dein individuelles Verstehen anspricht.“

Eine noch nicht getanzte Wunschrolle? Nach einigem Zögern: „Ich tanze den Lenski seit Jahren, eine schöne Rolle. Aber ich denke, dass ich jetzt eine Reife auch für den Onegin habe.“ Ballettchef Liška soll es hiermit vernehmen.
Premiere ist am Samstag im Nationaltheater, 19 Uhr 30.

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