Die ganze Bandbreite des zeitgenössischen Tanzes

Die Gala anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2007

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Essen, 28/04/2007

Und abermals „Romeo und Julia“! Aber diesmal die Cranko-Version, das heißt der Balkon-Pas-de-deux, getanzt von Katja Wünsche und Jason Reilly, den beiden Stuttgartern, Empfänger des diesjährigen und vorjährigen Deutschen Tanzpreises „Zukunft“, zur Eröffnung der Gala im Essener Aalto-Theaters anlässlich der Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2007. Und das heißt eben auch zurück zu Shakespeare und seinem Hymnus auf den Überschwang der jugendlichen Liebe – im Gegensatz zu der Demonstration einer abstrakten Etüde am Abend zuvor in Baden-Baden. Hier war wirklich jugendliches Blut am Überkochen, konnte Katja Wünsche beweisen, was an dramatischer Leidenschaft in ihr steckt, während Reilly all seine kavalierhaften Partnertugenden demonstrierte.

Es war ein fulminanter Auftakt des über vierstündigen Abends, der wieder einmal die Creme der deutschen Tanzelite in dem schönen Theaterbau versammelte. Es hat sich ja zu einem Ritual entwickelt, was sich hier einmal im Jahr abspielt und allen Beteiligten den Eindruck vermittelt, dass der Tanz die wichtigste Sache der Welt ist und Essen zumindest für 24 Stunden seine deutsche Hauptstadt. Und da 2010 näher rückt, kündigte sich in den diversen Ansprachen, und besonders in der des Oberbürgermeisters, an, welche Anstrengungen die Behörden unternehmen, dem Anspruch Kulturhauptstadt jenes Jahres gerecht zu werden. Während man in Ulrich Roehms Eröffnungsrede diesmal besonders viele kritische Untertöne zur Situation des Tanzes hierzulande auszumachen meinte.

Als Laudator der diesjährigen Preisträgerin Susanne Linke würzte dagegen ihr langjähriger Kollege und Weggefährte Lutz Förster von der Folkwang-Hochschule seine Hommage mit einer solchen Fülle von humoristischen Pointen, wie man sie bei dieser Gelegenheit in Essen noch von keinem seiner Vorgänger in all den Jahren zu hören bekommen hat. Kein Mangel an Abwechslung im ausladenden Programm. Das war in seinem ersten Teil vor der Pause ganz auf die drei Junioren des Zukunftpreises abgestellt. Ob sich allerdings Katja Wünsche (und der Choreograf) einen Gefallen damit getan hat, Marco Goeckes Solo „Äffi“ einer Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, darf bezweifelt werden. Es ist so sehr auf das Muskelspiel eines Männerrückens abgestellt, dass es durch die Korsagen einer Frau wie bandagiert wirkt. Die vielen Besucher, die hier zum ersten Mal mit einem Goecke konfrontiert wurden, dürften auf diese Weise einen eher verqueren Eindruck von seiner Art zu choreografieren bekommen haben.

Zukunftspreisträger Nummer zwei, der noch sehr junge Marian Walter vom Staatsballett Berlin, führte mit seiner in der gleichen Kompanie engagierten, offenbar noch jüngeren, aus der Ukraine stammenden Frau Iana Salenko im musikalisch horriblen Riccardo-Drigo-Pas-de-deux aus „Esmeralda“ vor, auf welch einem exquisiten technischen Niveau heute an der Berliner Staatsoper getanzt wird – sie nicht nur in ihren gewagten Balancen und rasanten Pirouetten, sondern auch mit einem geradezu spitzbübischen Charme, er mit seinen elegant den Raum durchmessenden Sprüngen und Manegen. Es war eine Lust, den beiden Youngsters zuzusehen.

Zukunftshoffnung Nummer drei ist der Karlsruher und aus Australien stammende Senkrechtstarter Terence Kohler: ein Choreograf, dem die Musik nicht nur die Füße, sondern alle beweglichen Gliedmaßen kitzelt. In diesem Falle Schostakowitsch mit ausgewählten Stücken aus den Ballettsuiten für sein „Intermezzo for 20“, mit dem die Birgit-Keil-Truppe nach Essen angereist war, um den Nordrhein-Westfalen einmal zu demonstrieren, mit welch einem Elan heute in Karlsruhe getanzt wird. Es ist ein Ballett, dem der Jux aus allen Nähten sprüht – entsprechend der lärmfreudigen musikalischen Vorlage – ein Ballett, in dem der Komponist, der Choreograf und die blendend aufgelegten Tänzer ihre Muskeln spielen lassen können und genau das auch mit augenzwinkerndem Charme tun.

Wonach der zweite Teil ganz Susanne Linke gewidmet war, Empfängerin des diesjährigen Deutschen Tanzpreises. Tänzerin, Choreografin und Pädagogin, gehört sie seit langem zu den profiliertesten Persönlichkeiten der Tanzszene – nicht nur in Deutschland, sondern weit über dessen Grenzen hinaus. Wie wenige neben ihr hat sie es verstanden, das Erbe des deutschen Ausdruckstanzes von Mary Wigman und Folkwang für die modernen interkontinentalen Strömungen zu öffnen – was ihr auch in Amerika hohen Respekt eingebracht hat. So war sie denn auch mit ihrer eindrucksvollen, höchst komplexen und enigmatischen Gruppenarbeit „Extreme Beauty“ für die Limón Dance Company im Programm vertreten, dessen Spannweite von einer ihrer frühesten Solokreationen „Wandlungen“ zum Variationssatz aus Schuberts Streichquartett „Der Tod und das Mädchen“, bis zu ihren jüngst für das Folkwang-Tanzensemble entstandenen „Fragmenten – Skizzen“ reichte, einer monumentalen Gruppenchoreografie, deren wuchtige Kolbenschläge wie Reminiszenzen aus den Arbeitertänzen der zwanziger Jahre wirkten. So spannte sich der Bogen dieses Programms über achtzig Jahre deutschen Tanzgeschehens – eine wahrlich imposante Demonstration der Vielfalt und Vitalität, wie sie für die heutige Situation charakteristisch sind.

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