Wo der Mond dem Meer entspringt

Das Traumtheater Salome bettet erlesene Artistik in poetische Bilder

Berlin, 01/11/2007

Verträumt lauscht die kindliche Prinzessin vor dem Vorhang, einer fantastischen Seelandschaft mit goldbekrönten Spitzbergen, dem Klarinettenspiel. Da läuft, eine Rose im Gepäck, ein Gentleman durch den Saal, sucht aufgeregt, hört den Zug abfahren. Noch ehe Trauer ihn niederdrückt, lockt ihn die Prinzessin hinter den Prospekt: in ein Land weißer Ballerinen, die vorm gemalten Mohnfeld einen Walzer in den Nebel schreiben. So beginnt an neuem Spielort direkt neben dem Hauptbahnhof Harry Owens’ und seines Traumtheaters Salome jüngste Reise ins Land der Märchen. Unsichtbare goldene Äpfel verteilt er, der Weltenbummler im Reich der Fantasie, und entdeckt sie in den leuchtenden Augen der Zuschauer wieder, die sich seiner narkotisch sonoren Stimme anvertrauen. Dorthin, wo der Mond dem Meer entspringt, will er sie führen, auf der Karawane verborgener Wünsche. Erst im zweiten Teil des Abends fällt jener Satz, der seinem gut zweieinhalbstündigen Programm den Titel lieh: „Ich liebe dich, Welt...eine Reise zu den Sternen“.

Welche Sterne das sind, bleibt offen; zumindest tragen sie häufig das nationale Kolorit durchaus irdischer Staaten. Auch an Owens’ aktueller Kreation überzeugt, wie artistische Einzeldarbietungen sich aus einem Gesamtbild entwickeln, eingebettet in Tanz und Spiel, als zöge ein Tagtraum vorüber. Wie viele junge Talente er neuerlich zu präsentieren hat, hervorgegangen fast alle aus der Artistenschule in Kiew, gibt dem Karawanengang Glanz. Der kleinwüchsige Oleg, ein hübscher Lockenkopf, jongliert einen roten Wollknäuel, hängt den Anfang poetisch an einer Wolke fest, gestaltet die Lebensalter eines Mannes, reißt den Faden ab. Die angeschrägt liegende Uhr hinter ihm wird zu Igor Gawas ungewöhnlichem Arbeitstisch: Auf dem Zifferblatt zeigt der edel gewachsene, vorzüglich ausgebildete Absolvent Äquilibristik der Sonderklasse, tanzt im Handstand über die Stunden, findet auch einhändig auf der Stütze traumsicher sein Gleichgewicht. Im asiatisch getönten Bild kann nach einem Schirmtanz Natali kontorsionistisches Format beweisen, mit Körperklappungen ähnlich den Monstern eines Hieronymus Bosch. Im nächsten Land verzaubert Alexei, der Reisende des Anfangs, als nickelbebrillter Harry-Potter-Zögling mit einem Schwebeball, fesseln Ivan und Katarina mit einem Duett zwischen Tanz und gewagter Adagioakrobatik.

Eine Flamencoeinlage führt hin auf Olenas Tanz im schwingenden Ring voller riskanter Hänge und Lagen und dicht über den Zuschauerköpfen, ehe eine Schneeballschlacht vor Eiswüsten Igors Meisterstück einleitet: atemberaubende Balancen auf zwei Stützen. Alexeis Tanz der Zauberlichter und Kautschuk von Roman als männlicher, vollschlank verbogener Schwan führen in die Puszta, wo nach feurigem Csárdás Anatoli so schön wie melancholisch Einsamkeit an den Strapaten tanzt. Zu Adamos klagvollem Chanson „Tombe la neige“ zerbröselt Alexei Bälle zu Schnee und sammelt im weißen Treiben Artisten, Ballett, Liliputaner, Einhorn zum Finale. Bewahrt den Frieden, gibt der Erzähler mit auf den Weg. Mögen täte mans schon wollen.


Das Traumtheater Salome gastiert bis 13.1. am Friedrich-List-Ufer 6 in Berlin Mitte Kartentelefon 0700/59059100 oder 479 974 44

 

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