Anne Teresa De Keersmaeker tanzt an der Wien

Die Souveränität einer Handschrift

Wien, 12/06/2007

Noch sitzt sie im kleinen Bistro direkt um die Ecke des Pariser Théâtre de la Ville. Und isst Gemüse in sich rein. Das ausverkaufte Gastspiel ihres neu zusammengestellten Programms haben die Pariser frenetisch bejubelt. Anne Teresa De Keersmaeker, fast eine Klassikerin der Moderne, vielgerühmt und wenigstens so schwierig, fragt unverblümt: „Wie war's?“ Die 46-Jährige meint die Vorstellung, die ins Theater an der Wien übersiedelt. Wie älter gewordene Kinder, die man gerne wieder sieht, meint der KURIER.

Was Wiener wollen

„Den Titel Nacht, der über den drei Stücken steht, den wollten die Wiener“, erklärt sie unmissverständlich. „Irgendwie haben ja sowohl das Bartók-Quartett Nr. 4 als auch die Große Fuge von Beethoven und Schönbergs Verklärte Nacht in meinen Choreografien mit der Dunkelheit zu tun.“ Besonders der Schönberg nimmt sich vierzehn Jahre nach Keersmaekers Premiere nahezu wie ein Handlungsballett aus. „Den Bartók (Premiere war 1986, Anm.) tanzen vier Frauen.“ In Wien springt Keersmaeker für die verletzte Cynthia Loemij ein. „Den Beethoven machen hauptsächlich Männer, zum Schluss kommen die Geschlechter zusammen. Das macht doch Sinn, oder?“ Sie spielt damit drei wesentliche Werke ihrer reichen Vergangenheit. Wie in Paris ist auch bei den Auftritten im Theater an der Wien (bis 16. Juni) das britische „Duke Quartet“ der Partner. Im zeitgenössischen Tanz ist Repertoire-Pflege oft nicht leistbar. Keersmaeker: „Ich habe überlegt, ob die Tänzer meine Sprache von damals verstehen werden. Wie souverän ist meine Handschrift? Aber es gibt nicht nur neue Interpreten, sondern auch neues Publikum. Freilich habe ich mich gefragt, was ich da tue: Ist es Erinnerung, Neuinterpretation…“

Rück- und Vorschau

In der Rückschau sind ihr die Choreografien, die sie aus theatralischen Inszenierungen wieder herausgelöst hat, wichtiger als das Drumherum. Der Tanz als das Eigentliche. Und Altes neu anschauen: Das interessiert die rigoros musikalische Frau, die Alltagsgesten und Individualität in eine neue Formensprache überführte, auch in einem weiteren Projekt. In „Sister“, das ab 14. Juli im Volkstheater zu sehen sein wird, lernt sie über ihren Tänzer Vincent Dunoyer Bewegungsmaterial, das sie vor Jahren dem prominenten Rosas-Ensemblemitglied Fumiyo Ikeda vermittelte.

Zukunft aber geschieht.

Noch will Keersmaeker nicht allzu viel sagen, wie ihre langjährige, wichtige Aufbauarbeit in Brüssel weitergehen wird. Ihr Vertrag an der Monnaie-Oper war nicht verlängert worden. „Die Tänzer werden wohl freelance arbeiten müssen“, deutet sie die Veränderung der Arbeitsverhältnisse an.

Das Theater an der Wien aber, so heißt es, könnte in der Spielzeit 2008/'09 immerhin Ort einer Rosas-Uraufführung werden.

Mit freundlicher Genehmigung des Kurier

 

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