„Schatten Rosen Schatten“

In Dresden starb 68-jährig der Tänzer, Tanzpädagoge und Choreograf Michael Diekamp

Dresden, 08/08/2007

„Der Tod kommt ungeladen“ heißt es im Sprichwort. Und in diesem Sommer ist er so permanent zu Gange, dass es unmöglich scheint, den geballten Verlust noch irgendwie aufnehmen zu können. Dass Michael Diekamp, ein wunderbarer Tänzer, Tanzpädagoge, Choreograf, über ein Jahrzehnt Professor an der Palucca Schule – Hochschule für Tanz, überraschend und schmerzlich am 29. Juli in Dresden gestorben ist, wird vielleicht nur in einigen großen deutschen Tageszeitungen ein Thema sein. Er selbst hat in seiner zurückhaltenden Art nie dafür gesorgt, sich vordergründig bekannt zu machen. Aber intensiv lebt er weiter in der Erinnerung seiner Schüler und Kollegen, von Tänzern, Choreografen, Tanzpädagogen, Tanzwissenschaftlern… Als einer, der es nicht nötig hat, auch nur irgendwie aufzutrumpfen. Weil er in sich stimmig ist - ein kluger, sensibler Künstler und Pädagoge, der hinterfragen, beobachten, erkennen, ermutigen kann.

Über ihn lässt sich nur gegenwärtig sprechen, trotz seines Todes, den man aus der Wahrnehmung am liebsten verdrängen möchte. Er ist da, bleibt da, spricht leise und eindringlich, unaufgeregt, analysierend, stellt Zusammenhänge auf eine Weise dar, dass man sie begreifen kann. Ein klar Denkender, viel Wissender, dessen Empfinden nicht aus ihm heraussprudelt, mehr im Verborgenen liegt. Der mit den Studenten so arbeitet, dass sie sich nicht bevormundet, okkupiert fühlen, stetig und mit Akzeptanz auf sie eingeht. Da spürt man sehr genau, was für ein begnadeter Pädagoge das ist – oder nun doch war, erkennt den Verlust. Überdeutlich, unumkehrbar.

Michael Diekamp hat nicht nur Wissen und Erfahrungen weitergegeben, sondern ebenso Haltungen vermittelt. Dafür brauchte es kaum Worte; sein eigenes Beispiel war beredt genug. Er hat sich auch an der Palucca Schule auf das für ihn Wesentliche konzentriert, sich nicht verzettelt, musste nicht überall beteiligt sein. Ein Ganzheitlicher – still und unergründlich tief wie der See, und wer mit ihm in Berührung kam, war belebt, inspiriert. Immer wieder wird Diekamp in den Biografien Jüngerer als wichtiger Lehrer benannt, war auch international gefragt. Und ist in dieser Wertschätzung dann eben doch ein bekannter Mann. Manche mögen seine kostbaren Eigenarten verkannt haben oder konnten erst später akzeptieren, dass er ist, wie er ist. Wenn sie das wirklich Wichtige für sich entdeckt hatten.

Das Leben von Tänzern mit ihrer bewegten, „flüchtigen“ Kunst ist bekanntlich nur in Ausnahmen gut dokumentiert und Diekamp hat seine außergewöhnliche künstlerische Biografie nicht gerade als Werbeträger vor sich her getragen. Dass er bereits 1956 zu den Schülern von Kurt Jooss an der Folkwangschule in Essen gehörte, 1961 das Tanzstudium mit Examen beendete, notierte er selbst unter „Tänzerische Laufbahn“. Und taucht in der umfassenden Jooss-Biografie von Patricia Stöckemann vor allem auch als Mitglied und Solist des Folkwang-Studios auf. Zunächst als Mitglied von 1961 bis 1963 sowie nach Engagements in Mannheim und Köln (Solotänzer) ab 1965 als Solist. Diekamp gehörte beispielsweise 1966 im später „Phasen“ benannten Stück von Jooss für Tanzsoli und Kammergruppe mit Pina Bausch, Hiltrud Blanck und Erika Fabry zu den Protagonisten, und sie reisten damit auch nach London und Eastbourne. Mit vielen „Ehemaligen“ der Folkwangschule, darunter Reinhild Hoffmann, war er bei den Jooss-Inszenierungen in Salzburg dabei, und man findet ihn ebenso in der Filmaufzeichnung vom „Grünen Tisch“ 1972.

Jenes Jahr, in dem er als Solist beim Cullberg-Ballett in Stockholm begann, mit nach London, Paris, Kopenhagen, Madrid, nach Italien und Norwegen reiste. Zuvor war er ab 1970 auch Erster Solist in Dortmund. Bei diesem Werdegang ist es nicht verwunderlich, dass er von 1974 bis 1977 als Solist zum Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch gehörte, wie auch Barbara Passow. Sie hatten sich schon an der Folkwangschule - wie es so schön heißt - gesucht und gefunden. Es ist absolut unmöglich, sich jetzt auch nur irgendwie vorstellen zu müssen, dass einer der beiden aus dieser berührenden, fast symbiotischen und dennoch gegensätzlichen Gemeinsamkeit, zu der auch zwei Söhne gehören, ausgebrochen ist. In ihrem 1990 in Bremen uraufgeführten Stück „Verlorene Engel“ suchen sich zwei auf der Bühne, streben auseinander, bis sie mit den Rücken aneinander stoßen. Und nicht mehr voneinander lassen können. Schicksalhaft, aufregend, in Freud und Leid. In „Schatten Rosen Schatten“, ebenfalls eine gemeinsame choreografische Arbeit von Michael Diekamp und Barbara Passow, herausgebracht 1994 in Bremen, geht es um Vergänglichkeit. Der Titel stammt aus Ingeborg Bachmanns Gedicht: „Unter einem fremden Himmel Schatten Rosen Schatten…“. Dass wir vor vielen Jahren in Dresden diese Inszenierung als außerordentlich berührende Aufführung in der kleinen Szene erleben konnten, ist ein Glücksfall.

Die „Pädagogische Laufbahn“ von Michael Diekamp weist zunächst viele Stationen auf, die sich mit seiner Tänzerbiografie überlagern. Später unterrichtet er überwiegend, in Stuttgart beispielsweise ab 1977 als Dozent für Klassischen und Modernen Tanz an der John-Cranko-Schule. Von 1986 an ist er in Bremen Trainingsleiter beim Tanztheater, kann sich nun ausschließlich auf Modernen Tanz konzentrieren, eigene Projekte herausbringen, lehrt Grundlagen der Laban-Jooss-Technik auch an der Universität. Und gibt dieses Wissen an vielen Orten in zahlreichen Seminaren und Kursen weiter, unter anderen in Tokio, Hannover, München, Berlin, Rotterdam, Köln, Frankfurt, Braunschweig, Bochum, Dresden, in Polen und Italien… Im Studienjahr 1994/1995 folgt Michael Diekamp der Berufung an die Palucca Schule Dresden als Professor für Modernen Tanz, ist als Mentor sensibler Weggefährte für junge Tänzer, Choreografen, Tanzpädagogen. Auch nach seiner Emeritierung bleibt er weiter pädagogisch tätig als Lehrer für Bewegungslehre. Ein Fach, das Grundwissen über die räumlichen und dynamischen Zusammenhänge von Bewegung vermittelt. Barbara Passow unterrichtete viele Jahre ebenso an der Palucca Schule – die einzige eigenständige Tanzhochschule Deutschlands. Und es ist überhaupt nicht zu verstehen, warum man künftig auf die Mitarbeit der erfahrenen Tänzerin und Tanzpädagogin verzichten will.

Als Michael Diekamp in einem Gespräch befragt wurde, welche Umstände dazu führten, dass er den Tanz besser verstehen lernte, antwortete er auf bezeichnende Art: „Für mich gibt es kein Schlüsselerlebnis, was mir die tieferen Zusammenhänge des Tanzes in besonderer Weise erschlossen hätte. Tanz in seinem komplexen Zusammenspiel seiner Einzelelemente zu erfassen, ist ein langer Prozess. Viele Erkenntnisse verdanke ich den Schwierigkeiten meiner Schüler: Wege und Brücken zu finden, diese Schwierigkeiten zu überwinden, eröffnen eine tiefere Sicht auf die inneren Zusammenhänge im Tanz.“ Mit freundlicher Genehmigung der Dresdner Neuesten Nachrichten

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