Annäherung aus der Verschiedenheit

Christoph Winklers „Das letzte Duett“ überrascht im Tacheles

Berlin, 09/05/2006

Ein Tisch mit Monitor, Videoplayer, zwei Stühlen, links davon ein Kassettendeck, rechts ein Paravent. Leer dehnt sich ansonsten die Spielfläche des Tacheles zum Zuschauer hin, Linoleum mit Parkettimitat gibt ihr die Heimeligkeit eines Wohnzimmers. Dennoch verspricht Choreograf Christoph Winkler in dieser unspektakulären Dekoration etwas Spektakuläres: „Das letzte Duett“ zweier renommierter Tänzer. Bettina Thiel, Erste Solistin des Staatsballetts, und Ingo Reulecke, unter Berlins zeitgenössischen Tänzern der wohl virtuoseste, sind sich durch Winklers Vermittlung bereits des Öfteren begegnet. Nun neigt sich für beide eine lange Karriere. Zeit also des Rückblicks, des Aufbruchs auch zu neuen Ufern. Während Reulecke seit kurzem in professoralem Rang Choreografie lehrt, steht Thiel der berufliche Wechsel noch bevor.

Zwei scheinbar Gegensätzliche treffen im brüchigen Theaterraum aufeinander, in Hose und Hemd er, sie im schwarzen Tütü unter Silberkrönchen. Als Dritter im Bund liest Winkler via Monitor aus Zeitungskritiken, über die gute Fee, den weißen Schwan, die „Sirene mit rotem Haar“ Thiel, den „Schlenkermeister vom Dienst“ Reulecke. Mit diversen Beinverschränkungen liegend, aus dem Stand wie Taschenmesser klappend suchen die zwei da noch nach gemeinsamer Form, belauern sich mit Blickkontakt. Parallel zelebrieren dann sie Ballettpantomime aus „Schwanensee“, er sein gewohntes Vokabular. Beinah alles gibt sein dehn- und spreizfähiger Körper her, zieht sich fix zusammen und expandiert wieder, wechselt jäh die Bewegungsrichtung, spielt mit dem Gleichgewicht. Einklang zwischen den beiden Tanzexponenten scheint ausgeschlossen.

Während Thiel ihre Pantomime verbal erklärt, legt sie Haarteile, Krönchen, Wimpern, Spitzenschuhe ab. Wie Trophäen einer Demontage legt sie Reulecke fein säuberlich neben seine Schuhe vorn an der Rampe. Zu seinen Lauten über Mikrofon beginnt sie ihr Bewegungsmaterial zu verfremden, ganzkörperlich zu agieren, was im klassischen Tanz unüblich ist. Ihr Adagio des weißen Schwans verfolgt er gespannt per Video, derweil sie sich in Hose und Pulli umkleidet. Wie fragile Zwillinge stehen sie da nebeneinander, die Annäherung aus der Verschiedenheit ist vollzogen. Obgleich beider Bewegungsduktus sich zunehmend angleicht, jeder beim anderen kurz Halt sucht und auch findet, bleibt die Ausführung doch individuell. Die gebundene Plastizität ihrer Ausfälle, Auslenkungen, Muster und Figuren sieht man ungern enden. Am Schluss übt sich Thiel in Gitarrenakkorden, Reulecke zitiert, unsicher noch, im Yogasitz ihre Pantomime. Abstrahiert nimmt sie neben ihm diese Gesten auf. Die Überraschung nach 60 Minuten ist perfekt, ein allerletztes Duett fast zwingend notwendig.

 

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