Und ewig rinnt die Wupper

Nachgeholt: Pina Bauschs Heimspiel „Vollmond“

oe
Wuppertal, 30/09/2006

„Vollmond“ heißt das neue Stück von Pina Bausch, das am 11. Mai Premiere hatte. Die Wuppertaler Tanztheater-Chefin als Frau Luna? Aber das zweiteilige Dreistunden-Stück könnte ebenso gut auch „Panta rhei“ heißen, denn alles ist hier ständig in Fluss, der Pool mit dem mächtigen Findling (vom Bühnenbildner Peter Pabst), unterspült von einem Bächlein, der ständige Regen aus dem Schnürboden, der die Bühne allmählich in einen See verwandelt, in dem die sechs plus sechs Tänzerinnen und Tänzer waten, schwimmen, ihre Spielchen treiben und sich regelrechte Wasserschlachten liefern – als ob die nahe Wupper in einem Tsunami über die Ufer getreten sei und das Schauspielhaus mit sich gespült habe.

Keine Exkursion in exotische Gefilde diesmal, sondern schön daheim geblieben unter der Schwebebahn. Ein Heimspiel sozusagen – leicht mondsüchtig-somnambul, in einem lautstark vom Mondkalb durchheulten Environment (Musikarrangements von Matthias Burkert und Andreas Eisenschneider). Keine Beethovensche Mondscheinsonate, keine Chopinschen Regentropfen, kein Debussysches „Clair de lune“, keine „Schlösser, die im Monde liegen“ – und weit und breit kein peu à peu verebbender „Sterbender Schwan“.

Dafür Menschen wie Du und ich – na ja, body-gestylt und ungeheuer verrenkungstrainiert -, in ihren Alltagsklamotten (Kostüme: Marion Cito) – schon bald pitschnass, mondsüchtig vielleicht (was bleibt einem in Wuppertal auch anderes übrig?), die das Repertoire ihrer Wuppertaler Befindlichkeiten durchexerzieren: ihre etwas in die Jahre gekommenen „Jeux d’enfants“, die kleinen Kabbeleien und Ätsch-Spielchen, ihre Liebesbedürftigkeiten und ihre maßlose Wasser- und Trinksucht – und zwischendurch immer mal wieder ein Tänzchen, hochartistisch, wie eine Erinnerung an Zeiten, da das Wuppertaler Tanztheater (wir mit ihm) noch jung war – Skizzen, lose aneinander gefügt und, wie gesagt, in ständigem Fluss.

Sie machen das großartig, nach wie vor, die Rainer Behr, Ditta Miranda Jasjfi, Dominique Mercy, Nazareth Panadero, die mehr und mehr an Mechthild Grossmann erinnernde Helena Pikon – und wie sie alle heißen und fein säuberlich alphabetisch auf dem Besetzungszettel aufgelistet sind. Ein tänzerisches Poesiealbum, leicht angegilbt, in dem wir nicht ohne nostalgische Gefühle blättern, haben wir das doch alles miterlebt, damals, in dem Jahrhundert vor dem elften September.

Mehr und mehr mutet Pina Bausch wie eine altersweise Tanzpoetin aus dem Geschlecht der Else Lasker-Schüler an. Doch wie schön, dass sie in Wuppertal bleiben und sich dort verwirklichen konnte, ohne nach Jerusalem zu emigrieren – von ihrem Publikum nicht nur verehrt, sondern geliebt, das sich auch zu dieser Wiederaufnahmevorstellung zu Dutzenden und mit einem Schild „Karte gesucht!“ vor dem Theatereingang – meist vergeblich – Zutritt erhofft zu einem der Kultereignisse des zeitgenössischen Theaters.

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