Verlassene Frauen

Yvonne Hardt und Raffaella Galdi bei den Berliner Tanztagen

Berlin, 11/01/2006

Eine außerordentliche Bereicherung für die Berliner Tanztage ist die Aufführung „Jellyfish and Exuberant Love“ von Yvonne Hardt & BodyAttacksWord, die von dem Buch „Douleur exquise“ der französischen Künstlerin Sophie Calle inspiriert ist. Es gelingt Hardt nicht nur, Sprache sinnvoll mit Tanz zu verbinden, sie beweist Humor und konfrontiert den Zuschauer auf charmante Weise mit der Entstehung des Stücks, mit der Frage nach Privatsphäre beziehungsweise Preisgabe des Tänzers und des Choreografen auf der Bühne sowie mit der Rezeption von Wahrheit, Fiktion und Interpretation durch den Zuschauer.

Das Stück beginnt mit einer Tanzsequenz, in der sich einzelne Körperteile zu verselbstständigen scheinen. Kurze Zeit später erfährt man, warum: Wahlweise Yvonne Hardt/die Protagonistin wurde am 14.3.2005 von dem Mann, den sie liebt, verlassen. In ihrem Lieblingscafe. Die Trauerphase dauerte 99 Tage und für jeden dieser Tage gibt es eine Bewegung. Anschließend wird die bereits gezeigte Tanzsequenz in einzelne Tage der Trauer zerlegt. Wo setzt sich die Trauer fest? Heute in einem Fuß, der nicht mehr aufhören kann zu zittern, dann in einer Hand; es folgt ein Tag, an dem wieder ein Lächeln versucht wird, doch gleich darauf ein – wörtlich zu nehmender – Rückschlag.

Gerade, wenn man als Zuschauer beginnt, mit Yvonne Hardt mitzufühlen, sich zu fragen, was das für ein blöder Kerl gewesen sein muss, der sie da verlassen hat, unterbricht sie den Tanz und stellt sich persönlich vor: als Tanzwissenschaftlerin, die sich mit der Geschichte von choreografischen Konzepten befasst. Dann geht es weiter mit der Trauerarbeit, bis Lea Martini, die zweite Tänzerin, hinzukommt. Nun ist es sie, die von ihrem Freund verlassen wurde. Sie erzählt dieselbe Geschichte mit anderen Details und sie erklärt, wie sie in diesem Zustand begonnen hat, zusammen mit Hardt Bewegungsmaterial zu entwickeln.

Ihre gemeinsame Choreografie, die dem Zuschauer eine Verknotung der Bühnenprotagonisten, von realen Personen und gegen Ende ins Spiel gebrachten Romanfiguren vorführt, vermischt Fiktion, Realität und Imagination. Ebenfalls an diesem Abend gezeigt wurde „Legna“, choreografiert und getanzt von Raffaella Galdi. Ihr Solo basiert auf einem Workshop bei Rui Horta und wirkt wie die Entzerrung, Wiederholung und Transformation eines dreißigsekündigen Choreografieausschnitts von Marco Goecke in ein fünfzehnminütiges Stück.

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