So wichtig wie das ABC

Stand und Perspektiven des Tanzes an den Schulen

Stuttgart, 27/09/2006

Sie ist den Usern des Tanznetz natürlich schon lange bekannt: Nadja Kadel aus Stuttgart – als Berichterstatterin vor allem über die Berliner Tanzszene. Aber auch als engagierte Promoterin der Education- und Outreachprogramme der Ballettkompanien, als die sie sich nicht nur hierzulande umgesehen hat, sondern auch in den USA. Das Ergebnis ihrer Recherchen hat sich dann in ihrer Magisterarbeit niedergeschlagen, über die hier im kj am 28.10.2003 berichtet wurde. Wer also wäre geeigneter als sie, die jüngste Publikation der „Bundesinitiative Tanz in Schulen“ vorzustellen? Also habe ich zu einem Gastspiel im kj eingeladen. Hier ist ihr Kommentar! oe

Der von der Gesellschaft für Zeitgenössischen Tanz NRW e.V. in Auftrag gegebene und vom Tanzplan Deutschland geförderte Band dokumentiert die Arbeit der im Herbst 2005 von elf Bundesländern gegründeten „Bundesinitiative Tanz in Schulen“. Er besteht aus zehn Beiträgen, die oft von mehreren Autoren verfasst sind, sowie einem Anhang, der Fakten über kontinuierliche und zeitlich begrenzte Projekte, Ausbildungsstätten und überregionale Institutionen bietet. Ziel ist es, erste Ergebnisse und geplante Projekte vorzustellen, um ein Konzept für die flächendeckende Implementierung und Qualitätssicherung von Tanz an Schulen zu schaffen; eine Rolle dürfte sicherlich auch die Absicht gespielt haben, weitere finanzielle Unterstützung von Seiten der Politik zu gewinnen. Man liest von Synergieeffekten, Win-win-Situationen, Nachhaltigkeit, bundesweiter Vernetzung: gängige Formeln, die mit Inhalten gefüllt werden müssen.

Von ganzheitlicher Identitätsbildung der Schüler durch den musisch-ästhetischen Gestaltungsbereich ist die Rede, der durch seinen „ästhetisch-expressiven Modus“ vor allem auch die kognitiven Fächer bereichere. Schade, dass hier auf die Nennung von Studien verzichtet wird, die eine solche Korrelation in der Tat wissenschaftlich nachgewiesen haben (z. B. Edward. B. Fiske: Champions of Change. The Impact of the Arts on Learning, 1999), obwohl an mehreren Stellen – beispielsweise in dem Bericht über die offene Ganztagsschule in Nordrhein-Westfalen – gesagt wird, dass „eine wissenschaftliche Grundlagenforschung zur Legitimation, zur Sicherung und zum Ausbau des bestehenden Tanzangebots in Schulen vonnöten ist.“ Immerhin werden aber drei an deutschen Hochschulen neuerdings begonnene wissenschaftliche Arbeiten zum Thema vorgestellt.

Die Analyse der verschiedenen Rahmenrichtlinien, Rahmenlehrpläne und Lehrpläne mit der unterschiedlichen Gewichtung und Verankerung von Tanz als Teilbereich in den Fächern Musik, Sport und Darstellendem Spiel, die das Buch für alle Bundesländer leistet, ist für eine Bestandsaufnahme sehr sinnvoll. Allerdings fehlt es den allgemeinen Schlussfolgerungen wie „konsequentes Weiterdenken der positiven Ansätze in den (?) Lehrplänen notwendig“ oder „Ansätze müssen (?) intensiviert und konkretisiert werden“ oft am nötigen Biss.

„Konkret“ wird z.B. der Beitrag über Qualitätsstandards und Qualitätssicherung vor allem dort, wo er die Qualitäts-Definition des deutschen Instituts für Normung (Qualität ist demnach der „Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt“) heranzieht. Ob diese Definition für die Beurteilung von Tanz in Schulen sehr hilfreich ist, sei dahingestellt. Durch die Darstellung wird auf jeden Fall deutlich, dass Tanz in Schulen in Deutschland nicht mit einem Gesamtkonzept umgesetzt werden kann. Die systemimmanente Problematik der föderalen Struktur erfordert eigene Konzepte für jedes Bundesland, die durch weiter differenzierte individuelle Schulkonzepte – beispielsweise im Sinne von Profilschulen – umgesetzt werden können.

Kaum erwähnt werden in den Einzelbeiträgen die Staats- und Stadttheater mit ihren Ballett- und Tanzkompanien als außerschulische Kooperationspartner, obwohl diese gerade in durch den „Tanzplan vor Ort“ geförderten Projekten – die hinten im Buch ausführlich und gut beschrieben sind – eine durchaus nennenswerte Rolle spielen. Auch auf die „Gewinnung des Publikums von morgen“ wird nur am Rand hingewiesen, obwohl dieses Argument für die Theater eine Zusammenarbeit mit Schulen geradezu notwendig macht, damit die Gewinnung von Nachwuchspublikum die heute schon abzusehende Legitimationskrise der Theater überwinden hilft. So kommen Projekte, die in Deutschland für das Zusammenwirken von Tanz und Schule richtungweisend waren und sind – an erster Stelle sei das Ballett Gelsenkirchen unter Bernd Schindowski genannt, das seit mehr als dreißig Jahren mit Schulen kooperiert – bedauerlicherweise überhaupt nicht vor. Stattdessen werden mehrere Projekte vorgestellt, die finanziell bisher nicht gesichert sind oder sich noch in Planung befinden.

Diese Einwände ändern jedoch nichts an der Tatsache, dass die Dokumentation den Konsens über den wichtigsten Punkt stärken wird: An Schulen soll getanzt werden. Nadja Kadel, Tanz in Schulen. Stand und Perspektiven. Dokumentation der „Bundesinitiative Tanz in Schulen“, hg. von Linda Müller und Katharina Schneeweis, München (Verlag K. Kieser) 2006, 142 S., 16 Abbildungen, ISBN-10: 3-935456-12-3

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