Raum und Kamera tanzen mit Edouard Locks „Amelia“ auf DVD

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Stuttgart, 20/09/2006

Wie mag das auf der Bühne ausgesehen haben? Das ist schwer vorstellbar, denn in dieser DVD-Version lebt Edouard Locks „Amelia“ ganz von dem ungewöhnlichen Dekor (Lock), der mobilen Kameraführung (Director of Photography: André Turpin) und dem Beleuchtungsdesign – hinzu kommen die Musik von David Lang (Cello, Violine und Klavier, dazu Nadine Medawar als Vokalistin der Lyrics von Lou Reed) – und natürlich die zehn Tänzer der kanadischen La La La Human Steps Kompanie, die Männer in locker sitzenden Anzügen, die Frauen in Trikots und alle auf Spitze.

Der Titel „Amelia“ ist so rätselhaft wie das tänzerische Geschehen – es handelt sich um einen Film über Tanz ohne Handlung, meist zu zweit, nur selten mit mehr Beteiligten, die sich zu Gruppenarrangements zusammenfinden, neoklassisch, mit den für Lock charakteristischen beschleunigten, in rasantem Tempo abgespulten Motionen, die Arme flatternd-peitschend als wild gewordene, sich verselbständigende Energien. Das Ganze in einer hölzernen Box wie eine nach vorn und oben offene Schale, das heißt mit Wänden, die ohne Ecken und Türen gekurvt in den Boden übergehen. Das ist sehr elegant und sehr cool und bietet der Kamera jede Möglichkeit für ständig sich ändernde Perspektiven, am aufregendsten von hoch oben auf die Tänzer herabfahrend, aber auch für Schatten und Lichtwechsel, so dass der Raum zu atmen scheint. Raum und Kamera tanzen mit, und die Tänzer absolvieren ihre mit Dynamit aufgeladenen Motionen wie aus der Pistole geschossen, sie fliegen aufeinander zu.

Das ist tänzerische Hochleistungsartistik in einer akustischen Kulisse aus Minimal-Ostinati und Song-Vokalisen, deren Texte weitgehend unverständlich sind, die aber etwas Beschwörendes, einen rituellen Charakter haben. Was ist das? In einer amerikanischen Kritik ist von „Lock‘s cyber-marionettes“ die Rede. Eine choreografische Installation in einem Designer-Environment? Sehr schick, ganz ohne Emotionen, sehr motorisch – sozusagen im Neo-Bauhaus-Look. Oscar Schlemmer wäre sicher fasziniert. Meine Faszination hielt sich in Grenzen und war bald erschöpft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man sich das öfter ansieht. Die zweite Disc ist „25 years La La Human Steps“ betitelt und bietet Fact sheets und eine Foto-Galerie der Lock-Produktionen von „Lily Marlène in the Jungle“, „Oranges“, „Businessman in the process of Becoming an Angel“, „Human Sex“ und „Amelia“. 2 DVDs, 59´24 und 35´02, auf Opus Arte O 0945 D.

 

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