Mit erheblichem Blutverlust

Die Gregor Seyffert Compagnie Dessau tanzt Tschaikowskys „Dornröschen“

oe
Ludwigsburg, 12/05/2006

Ein Gastspiel des Dessauer Balletts mit „Dornröschen“ im Rahmen des Tanzprogramms des Ludwigsburger Forums am Schlosspark: das versprach, interessant zu werden. Wurde es auch. Immerhin gilt Tschaikowskys Chef d‘oeuvre aus dem Jahr 1890 als das Gipfelwerk des zaristischen Nobelklassizismus und ist hierzulande wohlbekannt: als ausgesprochene Hitproduktion von Marcia Haydée beim Stuttgarter Ballett und sowohl in der St. Petersburger Originalversion vom Gastspiel des Mariinsky-Balletts in Baden-Baden, das dort auch mit der traditionellen sowjetischen Inszenierung von Sergejew zu Gast war.

Aus Dessau? Etwa als Huldigung an den Bauhaus-Geist der Gropius-Moholy-Nagy-Kandinsky-Schlemmer-Seilschaft? Oder als nostalgische Garten-Idylle aus dem Schlosspark des Fürsten von Pückler-Muskau? Mitnichten! Sondern als Remake einer Inszenierung von Jan Linkens, mit der sich der damalige Chefchoreograf des Tanztheaters der Komischen Oper 1999 aus Berlin verabschiedete. Hier nun getanzt – nicht etwa von Ballett des Anhaltischen Theaters, sondern von der Gregor Seyffert Compagnie Dessau, wie sich die Truppe heute nach ihrem Kammertänzer und Leiter nennt, der gleichzeitig als Direktor der Staatlichen Ballettschule Berlin fungiert.

Es handelt sich also um eine ähnliche Situation wie bei der Ballettkooperation zwischen Karlsruhe und Mannheim – wie wenn sich das Ballett des Badischen Staatstheaters plötzlich Birgit Keil Compagnie Karlsruhe nennen würde. Allerdings käme Birgit Keil wohl kaum auf die Idee, sich heute noch als Star einer auf sie zugeschnittenen „Dornröschen“-Produktion zu produzieren. Sie ist freilich auch rund zwanzig Jahre älter als unser Mann aus Berlin-Dessau, der in dieser Aufführung die Carabosse tanzt.

Das Beste am Dessauer „Dornröschen“ ist die Kürze der Vorstellung: sie dauert, einschließlich der Pause, nur zweieinviertel Stunden – und „Dornröschen“-Aufführungen können schon arg lang wirken. Allerdings sind bei der dramaturgischen Amputation nicht nur die Spitzenschuhe (bis auf eine Ausnahme) auf der Strecke geblieben, sondern auch das „Rosen-Adagio“, die Genreszenen der Jagdgesellschaft, das Märchen-Divertissement des Festaktes (inklusive der „Blauen Vögel“) und die Variationen des finalen Grand Pas de deux, der hier zu einem Petit Pas de deux minimiert erscheint. Auf der Strecke geblieben ist auch der Name Petipa, der nirgends auf dem Besetzungszettel auftaucht – mit gutem Grund, denn dazu ist Jan Linkens doch zu bescheiden, sich als legitimer oder illegitimer Erbe des großen Meisters von der Newa zu bezeichnen.

Und so tänzelt denn der tänzerische Import aus Berlin-Dessau auf flacher Sohle knapp hundertfünfzig Minuten vor sich hin, voluminös aus den Lautsprechern beschallt, wartet mit vielerlei Rosenbouquets auf, auch mit mancherlei aparten Einfällen (wie etwa entsprechend zu der traditionell en travestie – eben von Seyffert – getanzten Rolle der Carabosse auch die Fliederfee mit einem Mann zu besetzen, also in einen Fliederich umzuwandeln), und der Hofmeister Catalabutte darf herumwieseln wie der Narr selig in „Schwanensee“. Doch alles in allem wirkt die Produktion choreografisch wie von der Magersucht befallen und kleinkariert-spießbürgerlich. Und das gilt auch von ihrer tänzerischen Qualität und von Seyfferts tuntigem Gehabe als Carabosse, auch wenn er sich am Schluss an den Hochzeitsfestivitäten beteiligen darf und seinem Fliederich-Kollegen sogar ein Glas (Rotkäppchen?-)Sekt spendiert. Vielleicht sollten die Stuttgarter ihm mal ein paar Video-Ausschnitte zukommen lassen, wie in der hiesigen Produktion Tänzer wie Cragun, Blavier und Cavallari die Figur der Carabosse dramatisch aufgewertet haben.

Das möchte man denn doch wissen, was wohl in James Tuggles Kopf vorgegangen sein mag, als er vor sieben Jahre die Berliner Premiere dirigierte. War wohl eine Schnapsidee, diese Produktion nach Ludwigsburg einzuladen!

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