Meisterliches und Renato Zanellas „Der Spielmann“

Der neue Ballettabend mit Werken von Hans van Manen und Renato Zanella

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Karlsruhe, 02/03/2006

Aschermittwoch? Nicht bei den Tänzern des Karlsruher Balletts! Die tanzen auch die zweite Vorstellung ihres neuen Programms so dynamisch, so mit Energie aufgeladen, als handelte sich‘s um die Premiere. „Meisterliches von Hans van Manen“ verheißt dessen erster Teil. Und in der Tat: nach den vielerlei Recherchen und Laborversuchen des letzten Wochenendes auf der Stuttgarter Tanzplattform genießt man doppelt und dreifach die Stücke des ewig jungen Seniors aus den Niederlanden, diese dreimalige Bekräftigung der Formel: Der Tanz ist der Tanz ist der Tanz!

Zuerst im „Concertante“ zu Frank Martins Petite Symphonie, einem Oktett für vier Paare, eröffnet mit einer Introduktion der Acht in jener energiegeladenen Haltung mit den raumgreifenden Armen, die man augenblicklich als eins der Gene der van Manenschen Ikonografie erkennt, und deren rassige Eleganz noch durch die zebraartigen, farbig oszillierenden Ganztrikots von Keso Dekker betont wird. Eine Choreografie von bestechend struktureller Klarheit. Variationen über die Geometrie der Acht, von den beteiligten Solisten wie eine Reißbrettkonstruktion in den Raum projiziert – aber nicht mechanisch, sondern beseelt von dem elementaren Rhythmus des menschlichen Atems.

Und dann die Rücknahme des Ensembles in die Pas de deux-Form der „Trois Gnossiennes“ von Erik Satie, von der Pianistin Inna Martushkevych in den Raum versprüht. Die griechischen Anspielungen des Titels übersetzt van Manen in ein Spiel der Größenunterschiede, mit dem baumlangen Felipe Rocha, der seine Partnerin Paloma Souza wie eine Miniatur handhabt, eine sehr kostbare, sehr verletzliche, die er behutsam auf Händen und Armen manipuliert. Als Finale dieser Meister-Trilogie sodann die Crescendo-Lawine des „Solo“ für drei, aus Stuttgart bestens bekannt. Da müssen in Karlsruhe die drei Tops ran: Flavio Salamanka, Alexandre Simoes und Diego de Paula: Und die drei katapultieren sich in die wie ein Schrapnell explodierenden Schrittarrangements, dass die Karlsruher Bühnen-Erdbebenwarte die Stärke Sechs registriert.

Und nach der Pause also die Uraufführung „Der Spielmann“ von Renato Zanella zu ausgewählten Adagio- und Andante-Sätzen aus Mozarts Klavierkonzerten – eine Huldigung an Hans Christian Andersen als Jubilar des Vorjahrs (Andersen 1805-1875), an den Jubilar dieses Jahres (Mozart 1756-1791). Bei aller Gegensätzlichkeit der Charaktere und Lebensläufe: die Stimmung stimmt – weil sich Zanella auf die leise Melancholie der Biografie beider Genies einlässt. Und weil er weder versucht, Mozart allzu notenpedantisch nachzubuchstabieren, noch Andersen als literarischen Flüchtling aus seinem frustrierten Erdendasein zu porträtieren.

Stattdessen hebt er ab zu einer Exkursion in die Fantasie, mit der dekorativen Entwicklungshilfe von Rosalie, die allerdings ihrer poetischen Fantasie der Farben und Formen derartig die Zügel schleifen lässt, dass man als Andersen-Normalkonsument wohl noch den Dichter (Matthias Deckert), auch die Prinzessin auf der Erbe (Renata Velloso), den standhaften Zinnsoldaten (Marcos Menha) und die kleine Meerjungfrau (Sabrina Velloso) erkennt, aber den Engel (Diego de Paula), die drei Reisebegleiter, den Rosenelf sowie die roten Schuhe nur noch mit der Hilfe des Besetzungszettels identifiziert. Aber vielleicht war es ja die Absicht des Autor-Choreografen, die Fantasie des Publikums zu aktivieren, sich nach eigenem Gutdünken im Kosmos der Andersenschen Märchen zu tummeln. Wozu ihm die Choreografie Zanellas reiche Möglichkeiten bietet.

 

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