„Maracanã“ von Deborah Colker

Auftakt der Kulturveranstaltungen zur Fußballweltmeisterschaft auf Kampnagel

Hamburg, 28/01/2006

Die Erwartungshaltung wurde im Vorfeld in den Medien aufgepumpt zu einem riesigen Luftballon: Maracanã (genannt nach dem Fußballstadion in Rio de Janeiro) von der brasilianischen Choreographin Deborah Colker läutet auf Kampnagel die Kulturveranstaltungen zur Fußballweltmeisterschaft ein. Als wäre die Absage der Eröffnungsgala durch die Fifa ein Signal gewesen, entpuppt sich Colkers Produktion als ziemlich schlaffes Etwas, quasi ein ödes Null-zu-Null-Gekicke.

Nach hinten wird die Bühnenfläche abgegrenzt durch eine Wand mit aufgemaltem Anstoßkreis. Davor tummeln sich dann und wann Gestalten in der Waagerechten, in der Körpermitte so eingeklinkt in Seile, dass sie an der Senkrechten auf und ab gehen, sich abstoßen und drehen können: Die Leichtigkeit des Fußballseins mag es bedeuten sollen. Vermittelt wird eher der Anblick unbedarfter Spiele, zu wenig akrobatisch, um zirzensische Höhen zu erreichen, zu beliebig im Ablauf, um Spannung aus sich heraus zu erzeugen.
Zu Beginn sitzen schwarze Gestalten mit dem Rücken zum Publikum verteilt über die Fläche. Ein Mann, nackter Oberkörper, durchquert die Reihen mit einer Serie von langsamen Überschlägen. Das Ensemble erhebt sich und exekutiert eine simple, sich wiederholende Schrittsequenz mit einer Viertel- oder Halbdrehung zum Abschluss. Plötzlich erscheint eine weiß gekleidete Tänzerin in roten Spitzenschuhen, sie schlängelt sich mit klassischen Bewegungen (battements, relevés) ziemlich staksig zwischen ihren Kollegen durch. Darauf folgen Episoden mit drei, vier, fünf Protagonisten, darunter eine Männergruppe mit einer Hebeserie, vier von ihnen rollen im Viererpack wie ein großes Rad ab.

Zwei wuchtige, rollbare Tore werden herein geschoben. Eine Frau ergeht sich in einem Solo, zu dem eine große Menge Bälle auf die Bühne geworfen werden. Dann präsentiert sich einer als Fußballer mit einem prächtigen Fallrückzieher. Andere nehmen den Ball als Rollunterlage oder Quetschgegenstand zwischen zwei Körpern. Ab und an verdichtet sich das Geschehen, wenn mehrere kompakt zusammengehen, es drunter- und drübergeht.

An der Wand entspinnt sich ein Pas de deux zu Schuberts Lied „Nacht und Träume“ im Arrangement für Cello und Klavier – einer der wenigen stillen Momente, ansonsten dröhnt Musik lateinamerikanischer Färbung aus den Lautsprechern. Jede Episode steht einzeln im Raum, eine Verbindung, gar eine Steigerung erschließt sich mir nicht. Die Bewegungen, fast ohne gestalterischen Gebrauch der Arme, scheinen mir beliebig gestreut. Da zudem einige der Tänzer ihr Programm lässig bis nachlässig abspulen (als herausragend fiel mir nur eine rothaarige Tänzerin auf), mehrere Male offenbar wegen mangelnder Konzentration nur knapp eine Kollision vermieden wird, wird‘s schlicht langweilig. Hatte bei Colkers „Knots“, gezeigt 2005 bei den Wolfsburger Movimentos, noch die athletische Note die Brüche notdürftig verkleistert, so zeigt „Maracanã“ überdeutlich, wie zusammenhanglos und fantasielos die überschätzte Choreographin ihr Stück zimmert, sich fast nur auf vereinzelt stehende Effekte verlässt. Dazu passt das hohle Finale mit einem wild geschwungenen rot-orange-weiß gefärbtem Zwischenvorhang, unter dem sich ein Paar wälzt.
Fazit: Gelbrote Karte wegen schwerer Choreographie-Fouls – Platzverweis.
Eins steht fest: Wenn die brasilianische Nationalmannschaft auf diesem Niveau zur Weltmeisterschaft antritt, fliegt sie schon in der Vorrunde raus.

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