Mademoiselle Oui

Die weltberühmte Ballerina Sylvie Guillem gastiert in Heilbronn

Heilbronn, 11/05/2006

Fast ist man irritiert, weil sie am Schluss so entspannt und offen lacht – Sylvie Guillem genießt den Ruf der Unnahbarkeit, durch ihre Eigenwilligkeit und ihren Perfektionismus soll sie Ballettdirektoren zum Verzweifeln und ihre Tanzpartner zum Weinen gebracht haben. Für vier Tage gastiert die berühmte französische Ballerina mit einem modernen Programm im Heilbronner Theater, das damit wieder einmal ein spektakuläres Tanzgastspiel an Land gezogen hat (wobei Guillem dort vielleicht singen und gar nicht tanzen wollte, wer weiß, denn auf den Plakaten wird sie als „Primadonna assoluta“ angekündigt).

„Mademoiselle Non“ wurde die moderne Diva noch vor einigen Jahren genannt. Mit ihrer unglaublichen Technik war sie im Pariser Opernballett kometengleich aufgestiegen und wurde von Rudolf Nurejew mit 19 Jahren zum Etoile ernannt – um Paris nur wenige Jahre später im Streit zu verlassen. Danach war sie nie wieder fest in einem Ensemble, blieb aber dem Londoner Royal Ballet immer als Gast verbunden. Nun, mit 41 Jahren, zieht sie sich langsam vom klassischen Tanz zurück (ab der nächsten Spielzeit wird sie beim Royal Ballet nicht mehr als ständiger Gast geführt) und konzentriert sich auf die Arbeit mit modernen Choreografen, zu der es sie schon immer gedrängt hat.

„Push“, zu deutsch „Stoß“, heißt das vierteilige Programm mit Stücken des britischen Choreografen Russell Maliphant, das im Oktober im Sadler's Well Theatre in London Premiere hatte. Guillem, die hier mit einer hennaroten Kurzhaarperücke auftritt, tanzt zwei hochkonzentrierte Solos zu spanischer Gitarren-Musik von Carlos Montoya und einer elektronisch-rockigen Komposition von Andy Cowton. Von Lichtdesigner Michael Hulls in faszinierendes Zwielicht getaucht, schlingt sie ihre Arme ganz unklassisch um den Körper, nimmt den Bewegungen des Flamenco alle Strenge. Auch das zweite Solo konzentriert sich stark auf Guillems Arme und Oberkörper, auf ihre unvergleichliche Präsenz. Sie tanzt den ganzen Abend barfuß, beziehungsweise mit kaum sichtbaren, festgeklebten kleinen Absätzen unter den Fersen. Dazwischen tritt der Choreograf selbst in einen Wettbewerb mit seinen eigenen Schattenbildern, die übergroß an die Rückwand geworfen werden, wobei der technische Gimmick des sechsfachen, an verschiedenen Stellen auftauchenden Schattens hier fast aufregender wirkt als die Choreografie selbst.

Der Abend endet mit „Push“, einem halbstündigen Duo für beide Tänzer, in dem Maliphants zeitlupenartiger, ruhiger Stil geradezu hypnotische Wirkung entfaltet. Immer wieder sitzt oder liegt Guillem auf seinen Schultern und strebt von dort nach weiter oben, dann fällt sie, gleitet langsam an ihm herab und faltet sich um seinen Körper herum auf den Boden. Sie kippen ineinander, sie tragen und stützen sich, alles in einem behutsamen, magisch-schönen Adagio und mit großer Spannung. Manchmal, ganz selten, stiehlt sich eine klassische Bewegung in die Choreografie hinein, das Entfalten eines Beines oder das Strecken eines Fußes. Und trotz der kurzen Kicks, mit denen Guillem mal eben das Bein über den Kopf hebt, geht es hier nie um Virtuosentum, sondern um die reine Schönheit: Obwohl jede ihrer Bewegungen etwas sehr Bewusstes hat, sublimiert Guillem ihre frappierende Körperbeherrschung in einer allumfassenden, natürlichen Eleganz. Sie ist keine Elfe, kein über die Bühne wehendes Luftwesen, sondern ihr großgewachsener, schmaler und doch so athletischer Körper vermittelt Selbstbewusstsein und Fraulichkeit. Angefangen bei den perfekten Proportionen, bei ihren langen Beinen und dem berüchtigt hohen Spann über ihre Musikalität und Intelligenz scheint sich in Guillem all das zu vereinigen, was den Körper zum höchsten Instrument der Kunst macht. Was sie aber wirklich einzigartig macht und unter all den guten und sehr guten Ballerinen heraushebt, ist ihre innere Stärke, ihre Unabhängigkeit.

 

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