Evviva España!

Die Offensive des Flamenco

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Stuttgart, 05/07/2006

Alles Fußball? Das wird‘s dann wohl am Sonntagabend am Ende der FiFa-Begeisterung gewesen sein! Damit können wir uns wieder den ernsteren Dingen des Lebens zuwenden. Im Tanz beispielsweise dem Flamenco. Der scheint ja inzwischen die Tango-Manie abzulösen. Flamenco allenthalben: als Solo oder Ensemble, auf Tourneen und Festivals (mit Gesang und Gitarren), im Kino und Fernsehen und auf DVD. Und so kommt denn auch unmittelbar nach der TV-Erstausstrahlung bei Arte Michael Meerts Film „Der Flamenco Clan“ Anfang August als DVD in den Handel (Spanisch mit deutschen oder englischen Untertiteln, bei Lichtblick Film- und Fernsehproduktionen, 89 Minuten).

Es ist ein sehr schöner, menschlich sehr bewegender Film geworden. Er erzählt die Geschichte des Flamenco am Beispiel einer Familie, seinen Aufstieg aus ärmlichsten Verhältnissen, aus düsteren Höhlen und verräucherten Spelunken bis in die Show-Arenen der Sportstadien. Und wie er sich auf dem Weg durch die Jahrzehnte seit der Franco-Ära durch die Anverwandlung immer neuer Elemente entwickelt hat – und doch immer der gleiche, seiner Herkunft und seiner Wurzeln bewusst geblieben ist. Wie jede Generation das Erbe an die nächste weitergereicht hat, bis beim jährlichen Familientreffen aller Familienmitglieder vier Generationen miteinander tanzen – vom Urgroßvater bis zu den kaum ihren Windeln entschlüpften Kids. Das ist ein Gejohle, ein Geheul, ein Geschrei und Gestampfe, ein explodierender erotischer Feuerwerkskörper – ist ein Stück spanischer Geschichte und berührt bei all dem Gelärm und Getöse immer wieder durch die stillen, fast scheuen, so ungemein menschlich anmutenden Gesten der familiären Zusammengehörigkeit. Ein Dokument – aber das klingt viel zu trocken und offiziös, weil es ja nur so von Leben vibriert – wunderbare anderthalb Stunden dieser ganz spezifischen Kultur der Gitanos. Kann man ganz neidisch werden!

Gleichzeitig läuft bei uns in den Kinos der „Iberia“-Film von Carlos Saura, dem wir bekanntlich so unvergessliche Filme wie „Bluthochzeit“, „Carmen“ und „Tango“ verdanken. „Iberia“ beruht auf der gleichnamigen Klavier-Suite von Isaac Albéniz, deren einzelne Sätze – unterschiedlich instrumentiert – hier zu einer Szenen- und Nummernfolge handlungsloser spanischer Tänze aus den verschiedenen Städten und Landschaften der iberischen Halbinsel gebündelt erscheinen, ausgeführt von einer Vielzahl von Interpreten, Tänzern, Sängern, Gitarristen, Schlagzeugern. Das addiert sich zu einer raffiniert arrangierten, stimmungssuggestiv ausgeleuchteten Bühnenshow in ästhetisch berückenden Dekors, ohne je seinen Kunstcharakter zu verleugnen – 99 Minuten lang. Ein ästhetisches Vergnügen, wie gesagt – ganz anders als der durch seine humane Wärme und seine Ursprünglichkeit so ungemein berührende „Flamenco Clan“.

 

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