Reiner Tanz, der nicht inspiriert
„Tabula Rasa“ von Ohad Naharin und Heinz Spoerlis „Goldberg-Variationen“ als Premiere des Wiener Staatsballetts
Don Quijote, der selbsternannte Ritter von der traurigen Gestalt, ist ein Dauerbrenner, nicht nur im Schauspiel, auf Laien- wie auf Profibühnen. Auch im Tanz regt der Stoff um einen realitätsfernen Bücherwurm nach der rund 1000-seitigen Romanvorlage von Miguel de Cervantes immer wieder zu Neuinszenierungen an. So auch jüngst einen der wichtigsten Tanzmacher der Schweiz, Heinz Spoerli. Der Zürcher Ballettchef präsentierte jetzt einen leicht konsumierbaren „Don Quijote“ mit geraffter Geschichte, kaum Lokal- und Zeitkolorit.
Damit setzt Spoerli die Linie fort, die er mit seinem neoklassisch überzeitlichen „Schwanensee“ begonnen hatte. Eine Linie, die den Klassikern das allzu märchenhaft Schwere und Verstaubte zu nehmen suchte. Allerdings lauert dabei die Gefahr, dass der eigentümliche Charakter dieses Ausnahmewerks verloren geht, also genau das, was den „Schwanensee“ zu einem Ballettklassiker macht. Im Gegensatz dazu scheint sich Spoerli dieses Mal nicht allzu weit von der Originalchoreografie von Marius Petipa zur Ballettmusik von Minkus zu entfernen. Allein die Folkloreszenen und einige Pas de Deux stammen von ihm.
Genau davon hätte man sich allerdings mehr gewünscht: Der Pas de Six der Toreros glänzt mit in sich stimmigem Bewegungsmaterial, die Stierkampf-Thematik wird in elegante, linienschöne Formen umgesetzt. Auch die folkloristischen Massenszenen auf dem Marktplatz oder bei der Hochzeit des Liebespaars Kitri und Basil haben eine starke Anziehungskraft, nur leider sind sie viel zu kurz. Trotzdem: Insgesamt gelingt Spoerli so ein luftiges, leichtes Gesamtarrangement, dem er konsequent alle Einzelteile unterordnet.
Die Crux daran, und damit wäre man wieder bei der Zürcher „Schwanensee“-Version, liegt auf der Hand. Das Ganze droht nämlich, in eine unspezifische, fast seichte Oberflächlichkeit abzudriften: Angefangen damit, dass die Geschichte überall spielen könnte. Warum muss es also unbedingt das spanische Dorf sein, so will es das Programmheft, wenn Kastagnetten, sofern überhaupt, hauptsächlich im Orchestergraben eingesetzt werden, wenn in den Volkstänzen ständiges Klatschen Flamenco-Hände oder das Stakkato der Füße ersetzt? Erschwerend kommt hinzu, dass das Bühnenbild aus grauem Mauerstein, das Licht entweder aus fadem, trostlosem Gelbweiß und die Kostüme aus überwiegend matten, gedeckten Tönen bestehen. Gewiss, auch das passt natürlich alles in allem zusammen, passt zu einer bescheidenen, dörflichen Welt, die in Zürich gestaltlos überindividuell bleibt.
Dennoch sind das alles in allem Details, die eine Erzählung und ihre Einzigartigkeit ausmachen können, die sie auf der Bühne zum Leben erwecken, eine Konkretheit, die Tanz und Schauspiel nun mal mit sich bringen und auch ein Stück weit verlangen. Kurzum: Der Zürcher „Don Quijote“ zeugt von einem klugen, dichten Arrangement, wirkt aber stellenweise glatt und blutleer. Und daran kann auch der Import der beiden talentierten jungen Russen, Denis und Anastasia Matvienko, die die beiden Hauptrollen vortrefflich interpretieren, nicht viel ändern.
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