Botschaft von einem anderen Stern

Aterballetto mit „Romeo und Julia“ im Forum der Kulturgemeinschaft

oe
Ludwigsburg, 01/11/2006

Nein, bitte nicht schon wieder „Romeo und Julia“ – und schon gar nicht in der unmittelbaren Nachbarschaft von Cranko und MacMillan in Stuttgart und Karlsruhe! Nein auch zum abermaligen Gastspiel von Mauro Bigonzetti und seinem Aterballetto – zumal da uns Bigonzetti mit seinen „I fratelli“ bereits in einem Monat erneut ins Stuttgarter Haus steht! Als ob es nicht auch andere Kompanien als die Italiener aus Reggio Emilia und das St. Petersburger Ballett-Theater des Boris Eifman gäbe! Was ist das für eine Planung – bei allem Verständnis, dass die Kulturgemeinschaft für ihre herbstliche Stagione im Ludwigsburger Forum abendfüllende Stücke mit publikumsattraktiven Titeln braucht!

So zumindest dachte man (dachte ich) vor der Premiere! Doch dann fielen die wuchtigen Schläge Prokofjews wie die apokalyptischen Heuler aus einem elektronischen Weltall-Labor, ging der Vorhang auf über einem vierfünftel nackten Mann, den Rücken zum Publikum, herausgeleuchtet aus dem Dunkel, wie der kybernetische David eines futuristischen Michelangelo – und während das Licht (von Carlo Cerri manipuliert) über seinen Körper glitt, sahen wir, wie sein einer Fuß in einem Crash-Helm steckt, dieweil der andere nackt auf dem Boden verankert scheint. Und wenn der Klang elektrisierend seinen Body belebt, erkundet er mit dem martialischen Stechschritt des Todes aus Kurt Jooss‘ „Grünem Tisch“ den Raum – hinter sich, auf sechs Lustlagern drei Paare, die sehnsuchtsvoll zueinanderstreben.

Kein Verona, kein farbenbuntes Markttreiben, kein aristokratischer Ball, kein romantischer Garten, kein Balkon, keine Lerche. Und Shakespeare – und Prokofjew? Die haben Bigonzetti und sein Installationspartner Fabrizio Plessi zusammen mit ihrem Klangarrangeur Bruno Moretti als Science-fiction-Autoren auf einen anderen Stern katapultiert – wo eine andere Art von Menschen existiert, jung und schön, die ausschließlich von der Liebe und ihren Leidenschaften leben – bis der Tod ihrem Treiben Einhalt gebietet.

Und Bigonzetti choreografiert das als einen anderthalbstündigen kosmischen Reigen um Liebe, Leidenschaft, Kampf und Tod – in einem Universum der zehn Paare, deren Leiber aufeinanderprallen, die durch die Luft segeln und mit sekundenhaftem Timing aufgefangen werden, um sich in immer wieder abgewandelten Gruppierungen neu zu paaren: ein atemloses Ballett der elementaren Lust – von einem Houllebecq aus der Emilia Romagna. Damit hat Bigonzetti ein neues künstlerisches Reifestadium erreicht, hat seine Compagnia Aterballetto das Image prägende Signet ihres Repertoires erhalten und die Kompanie selbst zehn Jahre nach der Ernennung Bigonzettis zu ihrem künstlerischen Leiter und Chefchoreografen die Bestätigung ihrer internationalen Qualität. Also nichts als auf nach Ludwigsburg zu den verbleibenden fünf Vorstellungen! Wenn Bigonzetti in seinen bevorstehenden Stuttgarter „I fratelli“ auch nur annähernd die Qualität seiner „Romeo und Julia“-Produktion erreicht, darf sich das Publikum auf ein Ereignis der Spitzenklasse freuen! 3sat sendet am 29. November um 20.15 eine Aufzeichnung der „Romeo und Julia“-Produktion.

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern