Am archimedischen Punkt seines Oeuvres

Heinz Spoerlis „In den Winden im Nichts“ auf DVD

oe
Stuttgart, 09/10/2006

Von Nichts kann nicht die Rede sein! Dafür sind Musik und Choreografie viel zu gewichtig. Immerhin handelt es sich um die drei Bachschen Solocello-Suiten Nr. 2, 3 und 6 – den zweiten Teil aus dem Jahr 2003, nachdem Spoerli bereits 1999 die drei Suiten Nr. 1, 4 und 5 unter dem Titel „... und mied den Wind“ herausgebracht hatte. Ging es dort um die Trias der Elemente Erde, Wasser und Feuer, so weht in der Vervollständigung dieses Zyklus – frei nach Stefan George – eher die Luft eines anderen Planeten, 87 pausenlose Minuten lang, vor dem jetzt in die Vertikale gekippten Kreis des italienischen Architekten Sergio Caveros, der, beleuchtet von Martin Gebhardt, in den verschiedensten Farben schimmert, während Claudius Herrmann, Solocellist des Zürcher Opernorchesters, die einzelnen Sätze Bachs aus dem Dunkel heraus leuchtende Klanggestalt gewinnen lässt (Bel Air Classiques BAC015, 2006).

Nach den „Goldberg Variationen“, die zum Markenzeichen des Zürcher Balletts geworden sind, und dem ersten Teil der sechs Suiten für Cello solo, rundet sich mit dem zweiten Teil Spoerlis Glaubensbekenntnis zu Bach als dem archimedischen Punkt seines choreografischen Oeuvres (wie er es selbst in dem für seine Ästhetik aufschlussreichen Interview verkündet, das der vom Producer François Duplat realisierten Video-Aufnahme angehängt ist).

Schon im koeglerjournal der Uraufführung am 7. September 2003 war vom sehr hohen Abstraktionsgrad der Choreografie die Rede, sie ist „weniger sportiv als in der früheren Suiten-Trias, eher architektonisch, mit kunstvoll gebauten Dreiergruppen“. Es gibt keinerlei Reminiszenzen an die zugrundeliegenden Gesellschaftstänze. Es überwiegen nach der solistischen Introduktion (Arman Grigoryan), die eine Art exorzistischen Charakter hat (und im Finale nochmals aufgegriffen wird), eher kleine Formen, viele Duos und Trios, kaum Soli, ein paar fulminante Jungens-Ensembles, eine verzappelte große Girlreihe, ab und zu mal ein humoristisches Aperçu, keinerlei anekdotische Anspielungen.

Im Gegensatz etwa zu Balanchines „Concerto Barocco“ geht es Spoerli nicht um eine choreografische Transformation der Musik, auch nicht um eine zusätzliche choreografische Stimme zur musikalischen Linienführung, eher um einen partnerschaftlichen Dialog auf gleicher Augenhöhe. Es ist ein Ballett von bestechender Klarheit und Durchsichtigkeit – auffallend die Freude, ja der Enthusiasmus, mit der alle Beteiligten bei der Sache sind, die Solisten sowohl als auch die Gruppentänzer – wobei es schwerfällt, zwischen ihnen zu unterscheiden, denn im Grunde handelt es sich um 38 Solisten. Sie alle tanzen in Topform. Links: www.spoerli.ch www.belairclassiques.com

 

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern