Wenn Zelte zu sprechen anfangen

Die iranischen „Letters from Tentland“ in der Karlskaserne

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Ludwigsburg, 19/06/2005

Mag sich Stuttgart im Vierteljahrhundert-Rhythmus Hauptstadt des „Theaters der Welt“ dünken: in Ludwigsburg ist es auf Jahresbasis zu Gast – und verstärkt zu Festspielzeiten. Wie jetzt das Dramatic Arts Center Teheran mit der Produktion „Letters from Tentland“ in der Karlskaserne. Helena Waldmann, Regisseurin aus Berlin und Weltreisende in Sachen Theater, die in der Vergangenheit schon Pinguine, Langschweine und Cheshire Cats als Akteure entdeckt hat, ist jüngst im Iran fündig geworden und hat mit sechs Performerinnen als Animateurinnen von sechs elastischen Zelten ein Stück erarbeitet, das aktueller nicht sein könnte. Finden doch exakt in diesen Tagen im Iran die weltweit beachteten Präsidentschaftswahlen statt, bei denen es nicht zuletzt um den dort heftigst diskutierten Wandel des Bilds und der Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft geht.

Und genau darum geht es auch in den „Letters from Tentland“ – um die Frauen, die sich in ihrem Tschador, dem Ganzkörperschleier, wie in Zelten eingesperrt fühlen und entsprechend agieren – mit ihren Botschaften, die sie aus ihren vergitterten Fenstern an die Welt richten. Persische Briefe aus einer anderen, allerdings ganz und gar nicht mehr märchenhaften, sondern sehr heutigen „Tausendundeiner Nacht“ – Alltags-Botschaften, nicht zuletzt an den Westen gerichtet, aus einem fernöstlichen Divan, der einem Gefängnis gleicht. In dem sie sich eingerichtet haben, in dem sie leben (müssen), und wie sie darin miteinander kommunizieren und versuchen sich davon zu emanzipieren.

Sie tun es, indem sie eine Zeltsprache entwickelt haben, in der es ganz schön turbulent zugehen kann, wenn sie gegen ihre Stoffbahnen aufbegehren, aus ihren Reißverschlüssen und Gittern einen schüchternen Blick wagen, sich wie einen Kassiber ihre Hände zustrecken, wenn sie gar in ein anderes Zelt schlüpfen, wobei es sogar zu Vergewaltigungen kommen kann. Wenn Alwin Nikolais in den fünfziger bis siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in seinen „Sound and Vision Pieces“ seine Tänzer in elastische Kostüme steckte, die sie wie tänzerische Aliens aus einer anderen Welt erscheinen ließen, dann muten die „Letters from Tentland“ wie deren politische Fortsetzung an: ein mobiles Zeltlager der Frauenemanzipation in Zeiten der zu Ende gehenden Vorherrschaft der Mullahs!

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