„Der Eindringling“ von Helena Waldmann

„Der Eindringling“ von Helena Waldmann

Das Fremde muss weg!

Die Uraufführung von Helena Waldmanns „Der Eindringling“ in Ludwigshafen

Das neue Stück behandelt das Erlebnis einer realen Autopsie, die Beobachtung des gewaltsamen Eindringens in den menschlichen Körper. Mit Hip-Hop, Ballett und Kampfkunst dargestellt.

Ludwigshafen, 13/06/2019

„Letters of Tentland“ (2005) sicherte ihr den internationalen Durchbruch. Seit Helena Waldmann vor 15 Jahren mit Auftrittsverbot belegte iranische Frauen in Einmann-Zelten tanzen ließ, ist ihr internationale Beobachtung und Anteilnahme sicher. Seitdem produziert die Ausnahmekünstlerin regelmäßig für die internationale freie Szene, immer mit einem neuen thematischen und stilistischen Ansatz und folgerichtig auch mit einem neuen Team für ein neues Thema.

Damit hat sie sozusagen eine Not zur Tugend gemacht: Helena Waldmann ist weder Tänzerin noch „gelernte“ Choreografin. Ihre ersten Regieerfahrungen sammelte sie im dramatischen Fach. Begeistert von der Offenheit und Aktualität der Tanzsparte, wechselte sie das Genre und firmierte als Tanzregisseurin. Dabei kamen bislang die unterschiedlichsten Tanzstile mit ins Spiel: von klassischem Ballett („Revolver besorgen“ von 2010) bis Artistik („Gute Pässe, schlechte Pässe“ von 2017). In ihrer viel beachteten Abrechnung mit den Arbeitsbedingungen der Näherinnen in Billiglohnländern („Made in Bangladesh“ von 2014) stampfen zwölf KathaktänzerInnen im Takt ratternder Nähmaschinen auf den Bühnenboden.

Bei der Themenauswahl für ihre Stücke hat sich Helena Waldmann oft von ganz persönlichen Erfahrungen leiten, aber weder von Widerständen noch von gesellschaftlichen Tabus aufhalten lassen. So gewinnt sie in „Revolver besorgen“ dem Thema Demenz nicht nur komische, sondern sogar befreiende Momente ab; in „Burka Bondage“ (2009) zeigt sie die emanzipatorische Seite der erotischen Fesselungstechnik.

Seit einigen Jahren hat sich der Ludwigshafener Pfalzbau als verlässlicher Kooperationspartner etabliert. Für beide Seiten eine Win-Win-Situation: Das Haus ohne festes Ensemble kann der Künstlerin luxuriöse Bedingungen für die Endproben bieten und im Gegenzug Uraufführungen mit hohem überregionalem Aufmerksamkeitswert zeigen. Helena Waldmanns jüngster Streich trägt den Titel „Der Eindringling“ mit dem Untertitel „Eine Autopsie“. Und tatsächlich hat sie das Erlebnis einer realen Autopsie, die Beobachtung des gewaltsamen Eindringens in den menschlichen Körper, auf die Idee für das Stück gebracht.

Thematisch geht es erst einmal um die Abwehr von Fremden. Und da wird nicht gefackelt, sondern ein Feuerwerk angezündet: Ihr vierköpfiges Tanzteam ist in Material Arts ausgebildet. Eigentlich sollten es nur drei Tänzer sein. Aber weil Helena Waldmann die Kämpfe auf der Bühne möglichst schonungslos wollte, verletzte sich Telmo Branco so, dass er zum Sänger und lautsprachlichen Begleiter der Kampfhandlungen umfunktioniert werden musste – durchaus eine passende Akzentuierung des Sounddesigns (jayrope).

Der Inhalt des knapp einstündigen Stücks wird zum überwiegenden Teil mit Kung Fu und abrupten Wechseln zu Ballett, Hip-Hop, Slapstick und Pantomime dargestellt. Helena Waldmann ist sichtlich fasziniert von der Abwehrmethode, bei der man sich die Kraft des Gegners zu eigen macht, mit der Schwerkraft als Komplizin. Judith Adam hat die drei Protagonisten in die gleichen, zweiteiligen, kastigen Kampfsportanzüge in Beige bis Grau gesteckt: Tillmann Becker, Tänzer mit indonesischen Wurzeln, den Italiener Mattia Branco und den Japaner Ichiro Sugae. Mit seiner fast femininen Ausstrahlung verkörpert er nicht nur einen Fremden, sondern eben auch das Fremde, das um jeden Preis abgewehrt werden muss.

Schaumstoffpolster und Pratzen dienen mal zum Schutz, mal zur Intensivierung, mal zur Behinderung der Kämpfe. Außerdem spielt ein Hand-Ventilator mit, der abwechselnd als Scanner, Waffe oder Videoprojektionsfläche eingesetzt wird. Hier nimmt der – ohne Blick ins Programmheft wohl kaum zu erschließende – kühne Bogen zum Thema „Autopsie“ Formen an: Die Videobilder (Anna Saup) tauchen tief ins Körperinnere. Die Choreografie beendet ein anderer Eindringling, der eher aus der Spielzeugkiste stammt: eine Riesenkrake.

Kein Zweifel, das Stück beeindruckt – vor allem durch die Risikobereitschaft der Tänzer, die die plötzlich ausbrechende Gewalt nicht nur vorspielen. Aber was genau Helena Waldmann mit all dem sagen will, bleibt eher dem Programmheft und ihren eigenen wortgewandten Erklärungen vorbehalten. Das Premierenpublikum in Ludwigshafen spendete reichlich Beifall und strömte in hoher Zahl zum fälligen Nachgespräch.
 

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