Bunte Erlösungsgeschichte einer Dauerschläferin

Vladimir Malakhovs neues „Dornröschen“ beim Staatsballett Berlin

Berlin, 28/10/2005

Sehr hübsch, soll der Zar nach der Uraufführung von Tschaikowskys „Dornröschen“ 1890 in Petersburg geäußert haben. Den Siegeszug des imperialsten aller Ballette konnte seine königlich vornehme Zurückhaltung jedoch nicht verhindern. Gut 115 Jahre später tanzen die schlafende Schönheit und ihre höfische Entourage in der Choreografie und Inszenierung Vladimir Malakhovs über die Bühne der Deutschen Oper und lösen Rudolf Nurejews Produktion ab, die mehr als ein Jahrzehnt lang durch Pracht und Opulenz verzaubert, durch Länge indes auch strapaziert hatte. Dass Malakhovs vierte Kreation das Zarenprädikat als Untertreibung entlarven kann, dafür stehen die geniale Musik und die auf Marius Petipas großartiges Original bauende Neuchoreografie. Malakhovs Mitarbeiterstab tränkt die Inszenierung mit russischem Geist. Pro und Contra bleiben dennoch nicht aus.

Valery Kungurov, namhafter, in Deutschland lebender Zeichner und Grafiker aus Jaroslawl, verlegt alle drei Akte der Erlösungsgeschichte einer Dauerschläferin in denselben grün grundierten Zaubergarten mit rosenbehangenen Wandelgängen vor hellem Horizont. Die rosenverzierten Kugelbäumchen davor lassen sich drehen und dienen als Entsprungsort der Feenriege. An deren dunkelfarbige Kostüme mit Federpuscheln auf dem Haupt und Schärpen um die Tutus muss man sich ebenso gewöhnen wie an die Schranzenhaftigkeit des Hofstaats unter Perücken und Stehkrägen. Bisweilen wirken die Kostüme, als seien sie verlebendigte Illustrationen mit einem Zug ins Groteske, wo man die lichte Strahlkraft jenes Prunkmärchens erwartet. Inszenator Malakhov setzt auf Verständlichkeit der Story, rafft sie auf zweidreiviertel Stunden Dauer und bringt reichlich Pantomime ein.

Begleitet von grasgrünen, tänzerisch versierten Kavalieren legen die sechs Feen Dornröschen Geschenkeier ins Kindbett. In ihren Variationen überzeugen besonders Iana Selenko als flirrender Vogel zu Flötentrillern und Beatrice Knop als Glanz verströmende Fliederfee. Deren Gegenspielerin Carabosse lässt Malakhov traditionsgemäß von einem Mann tanzen und legt die Rolle gestisch an. Michael Banzhaf gestaltet sie aus der Halskrause seines düsteren Kleids heraus mit Präsenz, doch eine Spur zu unelegant herb. An der Dorne eines heimtückisch von ihm gereichten Rosenstraußes, und nicht an einer Spindel, wird sich Dornröschen später in den Schlaf hineinstechen. Ihre Interpretin Diana Vishneva tritt zu aktiv, beherzt, reif auf und opfert so auch im stilsicher präsentierten Rosenadagio die neugierige Anmut, den zerbrechlichen Charme eines jungen Mädchens technischer Bravour. In einer weißen Gondel, über die sich ein Lüster als Blumenkäfig stülpt, schläft, umhegt von den Feen, die Prinzessin in fahlem Licht ihrem Retter entgegen.

Dessen Begehrlichkeit facht die Fliederfee durch ein visionäres, von Wesen mit Tentakelhut flankiertes Duett mit Dornröschen an und geleitet ihn dann zum Pavillon seines Glücks. Dort kämpfen wohlarrangiert zwei Blöcke um die höhere Gewalt: Carabosse mit ihrem männlichen Gefolge und die siegende Fliederfee mit ihrer weiblichen Mannschaft. Auf der Hochzeit des Traumpaars tanzen Edelsteine, der Gestiefelte Kater, das wolfspelzgeschmückte Rotkäppchen, Aschenbrödel und sein Prinz sowie Florine in ungewohntem Gelb und ihr Blauer Vogel. Absolviert Rainer Krenstetter die Sprungfinessen des Blauen Vogels souverän, so muss seine Partnerin Nadia Yanowsky ihre Überspannung besiegen lernen. Dass Carabosse als immerwährende menschliche Bedrohung kurz Tanz und Musik des Schlusstableaus stoppt, ist ein guter Einfall. Sich selbst verordnete Malakhov, edel vom Scheitel bis zum Schläppchen, ein bewältigbares technisches Pensum, der Gruppe mit Blumenkörbchen-Walzer, Polonaise und Mazurka lediglich drei attraktive Einsätze. Alexander Sotnikovs erfahrenes Dirigat unterlegt schwelgerischen Tschaikowsky einer bunten Inszenierung, die ihr Publikum finden wird.


Link: www.staatsballett-berlin.de

 

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