Pina Bausch auf koreagrafischem Erkundungstrip

Das neueste Stück des Wuppertaler Tanztheaters

oe
Wuppertal, 22/04/2005

Achtzig Tage benötigte der vor hundert Jahren gestorbene Jules Verne für seine Reise um die Erde. Pina Bausch, seine tanztheatralische Nachfolgerin, lässt sich sehr viel mehr Zeit. 1989 ist sie von Palermo aufgebrochen, die Welt zu erkunden. Sie ist in den sechzehn Jahren viel herumgekommen, hat Länder und Erdteile bereist und an vielerlei Orten Zwischenstation gemacht – zuletzt in Brasilien („Agua“), der Türkei („Nefés“) und Japan („Ten Chi“). In ihrem neuesten, vor einer Woche im Wuppertaler Schauspielhaus uraufgeführten – und wie stets zunächst noch titellosem – Drei-Stunden-Stück hat sie sich nach Korea begeben.

Koreanisch mutet daran vor allem die Musik an: viel Saiten-Pleng-Pleng, dumpfe Gongschläge, rasselnde Trommeln, wummernder Asia-Disco-Sound. Von den durch die politische Teilung des Landes bewirkten Spannungen und Diskrepanzen, die so unendliches Leid über die dortigen Menschen gebracht haben, auch nicht die Spur! Es ist nicht viel anders als in Seattle, Osaka oder auf den Antillen: die Liebe kommt, die Liebe geht. Sie ist die globale Erfahrung, die vorwiegend junge, schöne, bestens durchtrainierte Menschen machen (bei den Älteren ist sie längst zur Routine verkommen), in hübschen, pastell-duftigen Kleidern und Konfektionsanzügen (von Marion Cito entworfen).

Es ist ein schönes Stück, mit ästhetisch berückenden Bildern vor der abweisenden Steilklippe von Peter Pabst, auf die er Landschaften, eine Tsunami-ähnliche wildschäumende Brandung, Menschen auf einer Kaufhaus-Rolltreppe und ein gigantisches Feuerwerk projiziert, dazu eine Seilschaft des Deutschen Alpenvereins, Sektion Elberfeld, ihre Kletterkunststücke praktizieren lässt. Es ist ein freundliches, lächelnd gelassenes Stück aus lauter Miniszenen, eine Patchwork-Koreagrafie sozusagen, deren sich Pina Bausch hier bedient. Ein altersweises Stück auch, voller Poesie und vor allem – ganz und gar in Tanz aufgelöst, der sich nur selten zu anekdotischer Konkretion verdichtet und noch seltener einzelne Sprech-Blasen verlautbart. Und es ist eine Koreagrafie, in der viel geworfen und geflogen wird – mit durch die Luft sausenden Körpern wie in den neuen chinesischen Aero-Filmen à la „Tiger & Dragon“.

Den Frauen sind die fantastischsten Armfigurationen zugeordnet, Kurvaturen von berückender Grazie und sinnlicher Verführungskraft – und was sie gar mit ihren Haaren anstellen! Die Männer imponieren durch ihre Kraftdemonstrationen und wie sie ihre Energie aus dem Boden beziehen. Schuhparaden gibt es diesmal nicht, und auch keine Formationstänze wie die früheren Polonaisen-Ringelreihen. Nur eine einzige ironische Ballettexercise-Sequenz gerät zu einer richtigen Lachnummer. Am Ende herrscht pure Ratlosigkeit, ein heilloses Durcheinander. Weil sie nicht wissen, welches die nächste Station ihrer Reise ist? Weil sie vielleicht ahnen, dass ihre Reise langsam zu Ende geht? Jedenfalls scheinen sie noch nicht gemerkt zu haben, dass sie sich mehr und mehr ihrem Ausgangspunkt annähern: dem Tanz an sich, der alles in sich birgt, vor dem die freundlichen Geschwisterkünste kapitulieren. Noch zeigen sie auf dieser jüngsten Station ihrer weltumspannenden Reise keinerlei Ermüdungserscheinungen, tanzen sie mit einer ansteckenden Fröhlichkeit und kommunikativen Empathie, diese globalen Wuppertaler Nachkommen der Terpsichore!

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