Mehr Alpakka als Silber

Graeme Murphys „Rosenkavalier“-Ballett

oe
München, 18/12/2005

Ich war schon in der Generalprobe des neuen Abendfüllers „Die silberne Rose“ und hatte einen eher gemixten Eindruck. Inzwischen hat die Premiere stattgefunden, und die Kritiken sind erschienen – ziemlich durchwachsen, eher negativ. Dies war nun die vierte Vorstellung vor gut besuchtem, aber nicht ausverkauften Haus – der totale Wintereinbruch hatte wohl viele vom geplanten Besuch abgehalten. Meine eigene Meinung: eher positiver. Ein ausgesprochenes Publikumsballett, auch wenn‘s den progressiven Kollegen missfällt. Ich bin davon überzeugt, dass es bei den Leuten „down under“, also in Australien, wo der Choreograf Graeme Murphy herkommt, ein Hit werden könnte. Ein durchaus professionell gemachtes Stück, mit tollen Rollen für tolle Tänzer. Doch eher etwas für nicht speziell Münchner-„Rosenkavalier“-Sektierer. Kraus-, Keilberth-, Böhm- und Kleiber-Fans seien gewarnt! Australische Ballett-Enthusiasten, Ronald Hynd- und „Lustige Witwe“-erfahren, dürften dagegen durchaus auf ihre Kosten kommen – auch ohne eine Margot Fonteyn als Hanna Glawari, beziehungsweise Marschallin.

Die Münchner Produzenten, wohlbewusst ihrer lokalen „Rosenkavalier“-Tradition, haben sich vorsichtshalber zu einer Titeländerung entschlossen und nennen ihren Dreiakter „Die silberne Rose“. Allein, es ist nicht silbern, was da auf dem Vorhang prangt, sondern eher Alpakka, also Neusilber, jene Legierung aus Kupfer, Nickel und Zink – eine Art von Arme-Leute-Silber also! Man könnte es auch eine Tanzoperette nennen (nicht gar so fern von „Holiday on Ice“, wie ein paar Kritiker nicht zu Unrecht gemutmaßt haben). So gesehen steht die Münchner „Silberne Rose“ in einer Linie mit Hynds „The Merry Widow“ und Roland Petits „Chauve souris“ (alias „Die Fledermaus“). Und ich bin nicht der Meinung, dass sie denen als gut gemachte Tanz-Show nachsteht (wenn mir auch das musikalische Potpourri-Arrangement von Carl Vine arg Rachmaninow-lastig erscheint).

Graeme Murphy versteht jedenfalls sein Handwerk, und er ist ein richtiger Theatermann. Ich hätte ihm einen mit den hiesigen Verhältnissen vertrauten Produktionsdramaturgen gewünscht (vielleicht Edmund Gleede, den ehemaligen Münchner Ballettchef, dessen großer Traum ein „Rosenkavalier“-Ballett zur Stummfilm-Musik von Richard Strauss war – aber damit konnten sich weder die Strauss-Erben noch der damalige Münchner Generalmusikdirektor Wolfgang Sawallisch befreunden).

Übrigens schien mir die Münchner Zweitbesetzung mit Séverine Ferrolier (Marschallin), Norbert Graf (Baron Ochs) und Lisa-Maree Cullum (Sophie) etwas rollendeckender als die Erstbesetzung in der Generalprobe (Sherelle Charge als Marschallin, Cyril Pierre als Ochs, Lucia Lacarra als Sophie) – Lukás Slavický war in beiden Besetzungen Octavian, vom Typ her ideal und ein atemberaubend brillanter Virtuose, leider von Murphy ziemlich im Stich gelassen, was die komödiantischen Aspekte seiner Rolle betrifft. Wäre ich in München Ballettchef (wovor mich ein gütiges Geschick bewahrt hat), hätte ich unbedingt versucht, Judith Turos zu einem Comeback als Marschallin zu bewegen. Die übrigen Beteiligten machten ihre Sache exzellent, und es war offensichtlich, wieviel Spaß die ganze Kompanie an dieser Produktion hat.

Ich finde, Murphys „Silberne Rose“ hätte durchaus eine zweite Chance verdient – nach cleverer dramaturgischer und musikalischer Überarbeitung (und mit geschärften Rollenprofilen). Dann könnte ich sie mir sogar als „Schwäbische Rose“ vorstellen – und eine Besetzung wüsste ich auch schon: mit Marcia Haydée als Marschallin, Friedemann Vogel als Octavian, Maria Eichwald als Sophie – und Ochs? Ja, den müsste man wohl importieren. Ich denke an Lloyd Riggins – und wenn der nicht verfügbar wäre, vielleicht an Dirk Bach, oder – warum nicht einmal ein En-Travestie-Versuch? – an Hella von Sinnen. Übrigens: vielleicht sollten sich unsere so händeringend nach neuen Abendfüllern suchenden Ballettchefs einmal gleich jenseits der Grenzen umsehen! Dazu brauchten sie gar nicht bis zu den Aborigines zu reisen, sondern könnten bereits im nahen Salzburg fündig werden!

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