Große Namen machen noch keine große Vorstellung

Lucia Lacarra mit Vladimir Malakhov in „Romeo und Julia“

München, 01/04/2005

Zwei Weltstars, die seit zweieinhalb Jahren in München engagierte Lucia Lacarra und der tanzende Berliner Ballettintendant Vladimir Malakhov, wurden in der Ballettwoche per Gastauftritt in „Romeo und Julia“ vereint. Das weckte Erwartungen und erlaubte einen zeitnahen Vergleich mit den langjährigen Münchner Solisten Lisa-Maree Cullum und Alen Bottaini, die das Titelpaar zwei Tage vorher tanzten. Malakhov erschien sehr jungenhaft mit naturgegebener aristokratischer Anmut. Sehr sicher seiner Wirkung verzögert er jeden Moment der Präsentation und wendet sich plötzlich aus der Ungezwungenheit seinem szenischen Gegenüber zu.

Im Trio der drei Freunde ist ihm Alen Bottaini, der an diesem Abend einen technisch perfekten Mercutio von überbordendem Temperament tanzte, mit seinen sicher gelandeten Serien der Double-Tours überlegen. Das gilt auch für die Dynamik insgesamt: Als Romeo z. B. aus Freude Julias Amme hebt und sich mit ihr wirbelnd im Kreis dreht, reichte Malakhovs Tempo nicht an das Bottainis heran, ebenso bei den Grand Pirouettes des Mittelakts. Nur in der eleganten Führung seiner langen Beine wirkte er noch immer unübertrefflich.

Interessant zu beobachten war auch sein sehr detailliertes Rollenspiel. Aber was macht er bloß in den Erzählpassagen aus seinem Romeo? Und was macht Lacarras Julia? In der Zuwendung zueinander nehmen beide wiederholt folgende unschöne Haltung ein: Knick nach vorne in der Hüfte, eingezogene Brust zwischen gekrümmten Schultern und vorgereckte Hälse. Kann es ein größeres Missverständnis davon geben, wie man die Anziehung durch ein geliebtes Gegenüber erlebt? Malakhov umrundet seine Julia zudem in einem benommenen Hüpfschritt, den man so auf einer Ballettbühne nie erwarten würde.

Positiv Bemerkenswertes wurde in den Pas de deux sichtbar, und zwar durch Lacarras Extensionen und die weit getragenen Hebungen, die Malakhov durch ein Absenken und Anheben hochmusikalisch gliederte und Lacarra schön gestaltete. Doch warum beide so miteinander tanzten, blieb unbegründet, denn die Begegnung beider schien nicht einmal sie selber zu berühren. Von erlebter Liebe keine Spur! Interessant immerhin, mit welcher Selbstverständlichkeit Malakhov seinen Romeo beim Ball der Capulets in eine Umgebung stellte, in die er so gar nicht hineingehört. Das hatte etwas von der Unverfrorenheit eines unschuldigen Narziss.

Doch was die Liebe und die Möglichkeit, sie mitzuerleben, angeht: Auch in der Balkonszene schienen weder Lacarra noch er in das Innere ihrer Figuen zu kommen, und deshalb kam auch da nichts aus dem Inneren der Figuren. Technisch waren die Variationen beider hochwertig, besonders die Malakhovs aufgrund der wunderschönen Linie. Und durch die tänzerische Dynamik wurde zwischen beiden erstmals so etwas wie Leidenschaft erkennbar.

Während die Entstehung der Bewegung aus den Gedanken in den Schlafzimmerszenen bei Lacarra nicht erkennbar war, ist bei Peter Joleschs Pater Lorenzo, schon wenn er nur geht, der ganze Kontext einer mönchisch ruhigen Existenz in der Fürsorge für andere deutlich. Beim Gifttrunk stand bei Lacarra das Giftfläschchen und die Frage, ob sie das auch wirklich trinken will, also das Mittel und nicht der Zweck im gedanklichen Zentrum. Und auch bei Malakhov konnte sich meines Erachtens keine Freude am Subtext seiner Bewegungen einstellen. Die darstellerischen Akzente schienen mir isoliert und konstruiert, so dass ich nie berührt war. Das war bei Lisa-Maree Cullum und besonders Alen Bottaini, die bei technischer Ebenbürtigkeit ihre Rollen aus dem Inneren erlebten und aus der Identifikation heraus verkörperten, viel eher möglich.


Besprochene Aufführung am 30.3.2005

Kommentare

Noch keine Beiträge

Ähnliche Artikel

basierend auf den Schlüsselwörtern