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Mainz, 13/01/2004

Zum vierzehnten Male also! Ob sich die Mainzer wohl selbst noch daran erinnern, was sie denn eigentlich in ihrem elften Ballettprogramm dem Publikum offerierten, geschweige denn in ihrem fünften? Und wie lange wollen sie diesen Spleen noch weiter kultivieren? Bis zu Nummer XX? Vielleicht fangen sie dann ja mit A wieder von vorn an! Dann hätten sie immerhin für die nächsten zwei Dutzend ausgesorgt!

Doch im Ernst: das jüngste Programm des ballettmainz ist von ausgepichter musikalischer Qualität. Zu Beginn „Frogs and Crows“ (und warum nicht: Frösche und Krähen? Auch wieder so ein verschmockter Anglizismus! Telemann nennt sein Stück ja ganz schlicht deutsch „Alster-Ouvertüre“und spart nicht mit ausgesprochen hanseatischen Satzbezeichnungen à la „Die Hamburgischen Glockenspiele“, „Der Schwanengesang“, „Die konzertierenden Frösche und Krähen“ etc.).  Danach dann als Hauptstück „Violakonzert“ von Alfred Schnittke. Und als Rausschmeißer „Ritirata notturna“ von Boccherini und Berio. Das sind drei ausgesprochene Raritäten, vom Philharmonischen Orchester des Staatstheaters Mainz unter der tanzanimierenden Leitung von Enrico Delamboy, dem neuen Mainzer Ersten Kapellmeister, sozusagen mit delikatem Fußspitzengefühl musiziert und vom Solobratschisten Malte Schaefer mit so leidenschaftlicher Emphase vorgetragen, als handelte sich‘s bei Schnittkes Violakonzert um ein Schwesterwerk zu Alban Bergs „Dem Andenken eines Engels“ gewidmetes Violinkonzert.

Dem Eingangsstück, das so lustig mit den aus Schnürbodenhöhen auf die Bühne purzelnden Fallschirmspringern beginnt, (fast meint man, es handelte sich um ein Möllemann-Ballett, bis die Fechterkostümierung der Tänzer doch eher eine Hommage an Tauberbischofsheim suggeriert) hätte ich allerdings, entsprechend den Telemannschen Titeln, mehr satirischen Biss gewünscht. Eine Götterversammlung an der Alster sozusagen als Tafelrunde der Olympier (das Bühnenbild von Thomas Ziegler legt es nahe), mehr attisches Salz à la Aristophanes („Die Vögel“ und „Die Frösche“) mit einer Prise Offenbach-Pfeffer. Die Telemann-Musik mit ihren ironischen Schlenkern hätte es durchaus hergegeben. So blieb‘s eine harmlos-unverbindliche turnerisch-akrobatische Spaßtollerei für 17 Tänzer (wenn ich richtig gezählt habe), die durchaus für sich einnahmen – eine Demo der Tanzturnriege von St. Pauli.

Danach wurde es dann allerdings ganz ernst und schwer und gewichtig. „Violakonzert“ ist für mich Schläpfers schönstes und poetischstes Ballett bisher, eine Epopöe auf dunkler Bühne (wieder Thomas Ziegler, der auch die knappen Body-Kostüme entworfen hat), um die unablässig ein langsam sich in die Höhe windendes Pendel kreist (à la Foucault – quasi „Schläpfers Pendel“). Die Tänzer, parzenhaft verlorene, musikgezeugte Gestalten, wie in einem Danteschen Inferno, in ständigem Fluss, aneinander Halt suchend und doch nicht findend, mit sehnsüchtigen, auf Erlösung hoffenden Blicken in den nicht vorhandenen Himmel. Vierzehn Kreaturen auf der Suche – wonach? Das wissen sie wohl selbst nicht, aber es bewegt uns noch lange nach dem Fallen des Vorhangs.

Und dann also das kurze Finale, Boccherini-Berios zauberhaftes Madrider Notturno – ein musikalisches Crescendo und dessen Umkehr sodann – einmal Bolero hin und zurück. Ein geniales kerzenbestücktes Terrassenbühnenbild (wieder von Ziegler), zwei Pas de trois-Paare, zwei Frauen und ein Mann plus zwei Männer und eine Frau, in jenen androgynen, mit kitschigen Applikationen versehenen transparenten Kostümen wie Schläpfer sie offenbar liebt (siehe die Kostüme für seine „Kunst der Fuge“, aber diesmal von Marie-Thérèse Jossen) – wie für einen Transvestiten-Ball. Eine hübsche Nichtigkeit, von Yuko Kato, Julie Thirault und Nick Hobbs, Jörg Weinöhl, Helge Freiberg und Marlucia do Amaral mit spitzfindiger Delikatesse serviert.

Übrigens diesmal nun gleich zwei verschiedene FAZ-Kritiken – zuerst in der Rhein-Main-Ausgabe und dann tags drauf eine weitere in der überregionalen Ausgabe. Dafür aber immer noch keine Rezension über Neumeiers „Tod in Venedig“. Da verstehe einer die Redaktionspolitik der FAZ! Ob sie wohl das Trio der FAZ-Tanzberichterstatter alias Wiebke Hüster, Edith Boxberger und Gerald Siegmund versteht?

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