Polina Semionova als Gast-Aurora

neues russisches Talent Dornröschen Semionova

München, 06/02/2004

Die Ausdünnung der Solistenriege, die das Bayerische Staatsballett in dieser Spielzeit aus verschiedenen Umständen und Gründen hinnehmen musste, soll erst in der nächsten Spielzeit durch Neu-Engagements ausgeglichen werden. Dies bedingt die Notwendigkeit und schafft den Freiraum, Gasttänzer einzuladen. Das erfreulichste und interessanteste Erlebnis vermittelte der Auftritt der jungen Ballerina Polina Semionova aus Moskau, die Vladimir Malakhov, obwohl sie erst 18 Jahre alt war, an das Ballett der Deutschen Staatsoper Unter den Linden geholt hat. Ein mit höchsten Preisen ausgezeichnetes Supertalent, das Malakhov auch schon als Partnerin für seine Japan-Tourneen gewählt hat.

Mit nur zwei Probentagen fand sich die mittlerweile 19-Jährige in die neue „Dornröschen-Inszenierung“ von Ivan Liska hinein, die letzten Dezember Premiere hatte. Bald wurde deutlich, dass Semionova manche mögliche Effekte ausließ, aber dass die Anlage dieser Tänzerin so groß ist, dass sie alle darstellerischen Kostbarkeiten aufzunehmen bereit ist. Auf billige Details – auch das war schnell klar – wird dieses Juwel verzichten. Ihre Größe und ihre Linien sind ideal wie ihre liliengeraden, hohen Beine und ihr geschmeidiger Port de bras. Ihre Bewegungen sind in Technik und Stil vollendet, in Phrasierung und Ausdruck noch unfertig. Auch der Partnerbezug dieser Aurora war noch nicht ausgeprägt, wenn man den vielfältigen Flirt der aktuellen Münchner Startänzerin Lucia Lacarra mit ihren Freiern und ihre Hinwendung zu Prinz Desiré als Maßstab nimmt, die Aurora als wahres Feuerwerk aufgehender Lebensfreude darstellte. Semionova tanzt noch für sich und stützt sich in den Spielszenen auffällig auf die klassischen Gesten, ohne dass ihre Aurora deswegen affektiert oder kühl wirkte. Im Gegenteil: Sie war in ihrer natürlichen Zurückhaltung liebenswert und zog mit ihrer Virtuosität in jedem Augenblick die Blicke auf sich. Man kann sich leicht vorstellen, mit welchem Gewinn ihr Ausdruck sich entfaltet, wenn sie sich nicht ständig auf einer Bühne orientieren muss, die sie noch nicht einmal in einer Probe je betreten hat. Ob es nur an der Vertrautheit mit ihrer Umgebung liegt oder ob sie noch mehrere Jahre Erfahrung braucht, um sich die Finessen eines Stars anzueignen, wird man vielleicht schon sehen, wenn Malakhov sie am 7. März in Berlin als Premierenbesetzung seiner neuen „Cinderella“ präsentiert.

Die Vorstellung in München wurde getragen von einem Ensemble durch das nach Semionovas Auftrittsvariation und Rosenadagio ein Motivationsruck zu gehen schien, ein Phänomen, das im Zusammenwirken mit großen Tänzern wiederholt zu beobachten und als weitere Qualität des jungen Gastes anzumerken ist. Nachdem die Lilienfee (Sherelle Charge) und besonders Carabosse (Kirill Melnikov) im Prolog für Leben sorgten, übernahmen dies ab dem 2. Akt auch das weibliche Corps de Ballet und, mehr noch, die Männer energisch und elegant. Die Leistungsexplosion von Roman Lazik, der als Prinz Desiré technisch und darstellerisch auch ein zuverlässiger Partner für Semionova war, gebietet Respekt. Erfreulich auch die Noblesse des Pas Fabergé mit Norbert Graf als Kavalier. Alen Bottaini tanzte den Blauen Vogel erstmals nach seiner Verletzung wieder voll aus und setzte damit ein Glanzlicht. In der nächsten Vorstellung am 13. Februar wird er an der Seite von Lisa-Mariee Cullum als Desiree debütieren. Und mit Natalia Kalinitchenko und Maria Eichwald wird das Münchner Publikum in Kürze zwei weitere Auroras sehen.

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