Vollendetes Ballettglück in „Dornröschen“

Mit Jekaterina Osmolkina und Andrian Fadejew aus St. Petersburg

München, 06/04/2005

Es muss dem Vernehmen nach mit Lucia Lacarra und Roman Lazik am Samstagabend eine sehr gute Vorstellung gewesen sein, die einzige der ganzen Ballettwoche, die ich ausgelassen habe. Am Abend des darauffolgenden Sonntags wurde „Dornröschen“ noch ein zweites Mal gezeigt, zugleich zum letzten Mal, seit Ivan Liska seine Petipa-Inszenierung im Dezember 2003 als gestrafftes Tanzmärchen herausgebracht hat. Also ein Finale der erfolgreichen „Dornröschen“-Serie und der Ballettwoche zugleich - mit Gästen, die sich als Volltreffer erwiesen.

Flott steuerte der Prolog mit teilweise hochbesetzten Feen-Variationen, mit Sherelle Charge als bezaubernder Fliederfee und Norbert Graf als spannender Carabosse, mit blendend aufgelegten Feenkavalieren und einem präzise, temperamentvoll und einfühlsam dirigierenden Valery Ovsianikov auf sein herrliches Schlussbild zu. Mit dem Beginn des ersten Aktes und dem Girlandentanz war dank des gut aufgelegten Corps de balletts und den kleinen Bosl-Mädchen alles auf die Munterkeit des Frühlings gestimmt.

Dann trat mit Jekaterina Osmolkina eine junge, gertenschlanke Aurora auf, mit perfekter Spannung der langen Beine, faszinierend durch ihre souveräne Technik und durch die unvergleichliche Kultiviertheit des St. Petersburger Stils, indem sie mit jedem ihrer Schritte kindliche Leichtigkeit und in der Präsentation ihrer selbst zugleich die Würde und Höhe ihrer Kunst verkörperte. Klug und ohne Maniriertheit verstand sie es, auch durch ihr Spiel zu fesseln. Man sah in ihren Variationen im Visionsakt kein naturalistisch-beliebiges Detail, sondern alle darstellerischen Elemente waren fließend in die getragene Form integriert, die somit von einer Ausdrucksstärke war, wie sie eben nur durch ein Wissen erreicht wird, das die nie abgerissene Tradition mit jahrhundertelang ausgefeilten Gesetzen realisiert.

Auch Andrian Fedejew wirkte sehr jung. Aber er ist Ende 20 und hat alle Erfahrung, um mit großartiger Präsenz zu beeindrucken. In seinen Variationen sah man keinen einzigen Wackler, sondern eine ruhig-beherrschte Position reihte sich an die andere, unterbrochen nur durch samtweich gelandete virtuose Sprünge. Bei ihm kamen die Bewegungen aus einem sehr differenzierten gedanklichen Subtext und sein Spiel wirkte völlig natürlich. Er gestaltete Prinz Desirees Tanz in einer Sinnfälligkeit, die sich in manchen Teilen mir, als einem westlichen Beobachter, durch diesen großen Interpreten erstmals offenbarte. Der Gedanke drängt sich auf, ob das Gestalthafte bei ihm und seiner Partnerin Osmolkina nicht dadurch so überlegen hervortrat, dass eine den ganzen Körper gestaltende Koordination, wenn von allen Gesetzen einer stilbildenden Schule keins verloren geht, eben nicht nur den Körper selbst, sondern auch die Luft um ihn herum plastisch gestaltet und somit Aura und Atmosphäre schafft - ein Effekt, der bei lediglich partieller Beachtung des Stils oder seiner Mischung mit anderen Stilen eben nicht so erreicht wird.

Beim Bayerischen Staatsballett kann man ähnlich Kostbares am ehesten von Natalia Kalinitchenko und Alen Bottaini sehen, die als Blauer Vogel und Prinzessin Florine dem großartigen Finale dieses Abends in weiteren Partien Glanz verliehen. In diese Richtung muss es gehen, wenn München seine Spitzenstellung als eleganteste klassische Kompanie Deutschlands ausbauen will, und vielleicht hat Ivan Liska mit der Einladung an die St. Petersburger Gäste ja bewusst ein Zeichen gesetzt, dass er die Klassik bei aller Vielseitigkeit der Stile wieder stärker an ihren Ursprung binden will.

Resumee: Die Ballettwoche war bis auf zwei partielle Enttäuschungen glanzvoll und abwechslungsreich. Sie dokumentierte das künstlerisch weitgefächerte Interesse der Direktion ebenso wie die Tatsache, dass Ivan Liska seine Tänzerinnen und Tänzer, aber auch das Publikum (durchschnittliche Auslastung aller Vorstellungen: 95 Prozent) dafür gewonnen hat, diesen Weg weiterhin mit ihm zu gehen: in diesem Jahr von Petipa zu Balanchine, Forsythe, van Manen, Kylián und Cranko. All diesen Choreografen und immer wieder neu hinzukommenden wendet sich das Ensemble mit Können und Leidenschaft zu und tanzt, wie in diesen Tagen exemplarisch sichtbar wurde, ein begeisterndes Repertoire. Das ist es wohl, warum das Bayerische Staatsballett 2005 in Europa die Kompanie des Jahres wurde.
 

Besprochene Vorstellung: 03. April 2005

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